Der Torwächter Bd. 2 - Die verlorene Stadt
Ungeheuer besiegte. Hier, dachte Simon und schaute hinüber zur Bucht, lebte das Monster in einem Hochhausturm inmitten einer düsteren Stadt.
Ihm fiel auf, dass er gar nicht wusste, wie Drhan aussah. Ihn sich als Ungeheuer vorzustellen, war das Einfachste.
»Komm.«
Ira ließ sich von der Kante des Schornsteins hinabrutschen und balancierte über ein Stück Mauer bis zum Rand der Ruine. Dann sprang sie auf einen tiefer liegenden Vorsprung und lief, ohne Unsicherheit zu zeigen, über ein schmales, bröckelndes Wandstück zum Nachbarhaus. Dort drehte sie sich zu Simon um. »Worauf wartest du?«
Simon schluckte. Vorsichtig rutschte er vom Rand des Kamins herab und setzte einen Fuß auf die Mauer, dann balancierte er zu ihr hinüber, die Augen fest auf sein Ziel gerichtet. Ira beobachtete ihn interessiert. Simon zwang sich, nicht hinabzusehen: Allein bei dem Gedanken an den Abgrund links und rechts von ihm zog sich sein Magen zusammen.
Er hatte Ira noch nicht erreicht, als sie schon weiterlief.
»Warte!«
Ira reagierte nicht. Simon glaubte, sie lachen zu hören. Er biss die Zähne zusammen. Er würde sich keine Blöße geben!
So schnell er konnte, folgte er ihr über die Mauerkronen, rutschte Schrägen hinab und kletterte bröckelnde Wände hinauf. Hier oben war das Dorf tatsächlich ein Irrgarten, doch selbst im Licht des Mondes fand Ira den Weg mit absoluter Sicherheit. Wenn es nicht mehr weiterging, schob sie ihren Körper durch eine Fensterhöhle in das Innere einer Ruine und kletterte hinab, um ein Stück weiter unten wieder hinaufzusteigen und ihren Weg auf den Mauerkronen fortzusetzen.
Endlich, Simon war total außer Atem, erreichten sie ihr Ziel: eine Plattform auf einem Haus nahe dem Hafen. Die steinerne Fläche musste früher einmal eine Dachterrasse gewesen sein, jetzt war sie Iras Versteck inmitten der Ruinenlandschaft: Sie hatte sich dort eine Höhle gebaut. Die Wände bestanden aus Mauerresten, die Ira gesammelt und Stein für Stein hier hinaufgebracht haben musste. Fensteröffnungen erlaubten den Blick in jede Himmelsrichtung. Ira hatte sogar ein Dach aus gewelltem Metall aufgetrieben und auf ihrer Hütte befestigt. Das Versteck war gemütlich eingerichtet, es gab einen Tisch und ein paar Holzschemel sowie ein Lager aus Decken und Kissen.
Simon war beeindruckt. »Wow! Ist ja irre.«
»Das ist unser Krähennest.«
»Und wo sind die anderen?«
»Die holen wir jetzt.«
Simon winkte ab. »Ich geh keinen Schritt mehr.« Er ließ sich auf einen Holzschemel fallen.
Ira grinste nur und zog ihre Zwille aus der Tasche ihrer Hose. Sie zielte in die Dunkelheit und schoss. Sekunden später war ein Klappern zu hören, der Stein, den sie geladen hatte, war auf ein Blech geprallt. Sie lächelte zufrieden, nahm einen weiteren Stein aus der Hosentasche und schoss aus einem anderen Fenster. Erneut klapperte ein Blech.
Simon war fasziniert. »Und du meinst, das klappt?«
»Klar. Wart’s ab.«
Sie verstummte und setzte sich neben ihn. Simon wusste nicht, was er sagen sollte, also schwieg auch er.
Es war windstill, und eine Weile war nur das Gluckern der Wellen zu hören, die unten im Hafen an die Mole rollten. Simon roch den zarten Duft, der von Iras Haut ausging.
Ein leiser Pfiff ertönte, kurz darauf streckte Filippo seinen Kopf durch den Eingang der Hütte. »Da bin ich. Leider nicht der Erste.« Er musterte Simon neugierig. »Wie kommst du denn hierher? Ich dachte, du vergnügst dich mit Victor.«
Er setzte sich, und wenig später kletterten auch Tomas und Luc in das Versteck. Alle waren gespannt, warum Ira sie gerufen hatte.
»Jetzt sag schon«, drängelte Filippo. »Was liegt an?«
Ira holte tief Luft, bevor sie antwortete: »Wir bringen Simon in die Stadt.«
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16
Im Haus war es still, als Simon am nächsten Morgen erwachte. Es war dunkel in der Küche, bis auf das Feuer im Ofen, es glimmte ein wenig. Durch einen winzigen Riss in der Decke fiel Licht in den Keller. Draußen wurde es hell.
Simon schlug die Decke zurück und stand auf. Leise zog er sich an, dann schöpfte er sich aus dem großen Fass neben dem Herd eine Kelle mit Wasser. Er trank und füllte sich eine zweite.
Ashakida knurrte im Schlaf und ihre Läufe zuckten, offenbar träumte sie schlecht, wie so häufig in den vergangenen Nächten. Simon ging zu ihr und streichelte sie behutsam. Das Kräuterbad hatte ihr gutgetan, die Leopardin wirkte kräftiger als noch am Abend zuvor. Ihr Fell glänzte im Schein der Glut.
Simon
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