Der Torwächter Bd. 2 - Die verlorene Stadt
war froh, hier bei ihr zu sein. Eigentlich hatte Iras Großmutter vorgeschlagen, dass er in Iras Zimmer übernachten sollte und Ira bei der Alten im Bett. Doch Simon war lieber in der Küche geblieben. Nicht nur, weil er auf Ashakida aufpassen wollte. Der Gedanke, in Iras Bett zu schlafen, war ihm komisch vorgekommen.
Nach einer Weile entspannte sich die Leopardin wieder, und sie schlief ruhig weiter.
Unschlüssig saß Simon an ihrem Lager. Schließlich ging er hinaus in den Flur. Es war still im Keller, auch Ira und ihre Großmutter schienen noch zu schlafen. Leise, um die anderen nicht zu wecken, stieg Simon die Stufen hinauf, er öffnete die Klappe über dem Ausgang ein kleines Stückchen und schob sich durch den Spalt.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, aber der Himmel im Osten war schon rot gefärbt, und die Sterne am Himmel verblassten. Nur noch der Morgenstern leuchtete. Simon kletterte in den ersten Stock der Ruine. Er setzte sich in eine leere Fensterhöhle und blickte über das Dorf. Die Luft roch frisch und klar. Bald würde sich die Sonne als Feuerball über die Kuppe des Hügels schieben und alles in rotes Licht tauchen.
Doch Simon hatte keinen Sinn für die Schönheit des Morgens. Er dachte an den letzten Abend zurück. Iras Freunde waren entsetzt gewesen, als Ira verkündet hatte, dass sie alle gemeinsam Richtung Stadt aufbrechen würden, um ihn zur Stadtmauer zu bringen. Filippo hatte sprachlos den Mund aufgerissen, Luc hatte vor Schreck die Luft angehalten. Selbst Tomas war blass geworden. Bis auf Streifzüge in die nahe Umgebung hatte keiner von ihnen das Dorf jemals verlassen, geschweige denn, dass sie je daran gedacht hätten, in die Vorstadt zu gehen oder gar bis in das Zentrum der Stadt vorzudringen – das Verbot der Eltern war eindeutig gewesen. Sie hatten lange diskutiert. Doch am Ende waren sich Ira und ihre Freunde einig gewesen: Sie würden Simon bis zum Rand des Stadtzentrums begleiten und ihm helfen, die Mauer zu überwinden. Danach würde er alleine zurechtkommen müssen.
Simon war froh gewesen und erleichtert. Es hatte alles so einfach und selbstverständlich geklungen. Doch jetzt, am nächsten Morgen, kam es ihm verrückt vor, was er vorhatte.
»Folge mir nicht! Flieh!«
Simon dachte an die Botschaft seines Großvaters. Wovor hatte sein Großvater ihn warnen wollen? Machte er einen Fehler, weiter nach ihm zu suchen? Wollte sein Opa, dass er ein Weltentor fand und aus dieser Welt verschwand? Simon mochte das nicht glauben. Denn wenn er floh, dann gab es für seine Familie und seine Freunde in seiner Welt keine Hoffnung mehr. Ob sie noch lebten? Sein Herz zog sich zusammen.
Ihm fiel der Moment ein, als ihm sein Vater den Ring der Torwächter gegeben hatte. In dem Blick seines Vaters war so viel Zuversicht gewesen, so viel Vertrauen … Simon holte tief Luft. Er würde, nahm er sich vor, dieses Vertrauen nicht enttäuschen. Er würde seine Familie retten, um jeden Preis, auch wenn er im Moment keine Ahnung hatte, wie er das anstellen sollte.
Konnte er, ein dreizehnjähriger Junge, wirklich den Kampf gegen Drhan aufnehmen?
Die Sonne lugte gerade über die Hügelkette, als unten in der Eingangshalle die Bodenklappe knarrte. Iras Oma kam hinaus an das Tageslicht. Sie streckte sich zufrieden und blickte zu ihm hinauf. »Guten Morgen.« Grinsend zeigte sie ihr von Zahnlücken durchsetztes Gebiss. Simon erwiderte den Gruß.
Kurz entschlossen sprang er von seinem Aussichtsplatz und kletterte in die Ruine hinab, um der Alten in den Keller zu folgen.
Das Feuer brannte hell, als er die Küche betrat. Auf dem Herd stand ein Topf, aus dem es leise blubberte. Teller klapperten, die Alte war dabei, den Tisch zu decken.
Simon ging zum Lager, auf dem sich Ashakida im Halbschlaf rekelte. Sie schlug die Augen auf, als er zu ihr trat.
Simon grinste: »Guten Morgen, Langschläferin!« Er knuffte sie, die Leopardin schnappte nach seiner Hand und kurz rangelten sie miteinander. Simon freute sich, dass es ihr wieder besser ging.
Dann setzten sie sich an den Tisch und frühstückten. Es gab warmen Brei, Iras Oma hatte ihn aus Getreidekörnern und wildem Honig gekocht. Er roch gewöhnungsbedürftig, aber schmeckte überraschend gut.
Ira war in die Küche gekommen, gerade als die Alte die Schalen mit dem Getreidebrei gefüllt hatte. Sie hatte Simon müde angegrinst und schweigend gegessen. Sie schien nicht viel geschlafen zu haben. Er wusste, warum. Ira dachte genau wie er an den Plan, den sie
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