Der Torwächter Bd. 2 - Die verlorene Stadt
Wir nehmen sie in unsere Familien auf.« Er stockte kurz, bevor er fortfuhr. »Und manchmal verschwinden welche von uns, wenn sie älter sind.«
»Was passiert mit ihnen?«
Niemand sagte etwas, Simon spürte Furcht. Der Rothaarige sprach nach einem Blick zu Libor. »Wir vermuten, sie werden zu Schläfern.«
»Warum? Wie wird man zu einem Schläfer?«
Keiner wusste die Antwort.
»Was ist mit den Dorfbewohner? Wisst ihr etwas von ihnen?« Fragend blickte Simon in die Runde. »Drhans Männer haben sie gerade erst hergebracht, vor drei Nächten.«
Ira beugte sich gespannt vor.
Ein blasser Junge, der am Ende des Tisches saß, meldete sich und bestätigte, was sie schon wussten. Die Dorfbewohner waren von den Soldaten auf Lastwagen in die Stadt transportiert worden, auch er hatte es beobachtet.
»Aber wo sind sie jetzt?«
Der blasse Junge wusste es nicht.
Simon wollte weiter nachfragen, doch Libor unterbrach ihn ungeduldig. »Es reicht jetzt. Mehr wissen wir nicht.« Er stieß seinen Stuhl zurück und brachte etwas Abstand zwischen sich und die Leopardin. Dann stand er auf.
Simon hielt ihn zurück. »Was ist mit meinem Großvater? Habt ihr ihn gesehen? Er muss hier sein.«
»Und wenn schon, was spielt das für eine Rolle? Er ist jetzt ein Schläfer.«
Simon ärgerte die beiläufige Art, mit der Libor ihm antwortete. »Ist dir eigentlich egal, was da oben passiert?«
»Ist es denn wichtig?«
Wütend starrte Simon ihn an. »Ja, verdammt, es ist wichtig! Wäre ich sonst hier? Hätten wir sonst in diesem verdammten U-Bahn-Tunnel unser Leben riskiert, nur um hierherzukommen? Aber das interessiert dich ja nicht!«
Es blieb still, als Simon verstummte. Er hatte nicht darüber nachgedacht, was er sagte, und ein wenig war ihm sein Ausbruch unangenehm. Doch er stand zu dem, was er ausgesprochen hatte, und so straffte er seinen Körper und blickte dem obersten Ratsherr in die Augen.
Libor hielt seinem Blick stand. »Du hast recht. Es interessiert mich nicht. Und weißt du, warum? Weil ich nichts für die da oben tun kann. Aber hier«, er stieß seinen Zeigefinger auf den Tisch, »hier kann ich was tun! Ich bin verantwortlich für alle Kinder und Jugendlichen, die hier unten leben! Darauf kommt es an! Und nicht auf irgendwelche Erwachsenen, die ich noch nicht einmal kenne und die in die Stadt gebracht werden, um zu Schläfern zu werden.«
»Aber wollt ihr nicht eure Eltern retten?«
»Sie haben uns alleingelassen.« Verachtung schwang in Libors Stimme mit. »Wir kommen auch gut ohne sie zurecht.«
Bevor Simon etwas entgegnen konnte, wandte sich Libor den Ratsmitgliedern zu: »Das war’s. Die Sitzung ist beendet.«
Alle Kinder und Jugendliche erhoben sich und augenblicklich erfüllte Stimmengewirr den Raum.
Simon war verblüfft. Auch Ira hatte dieses Ende des Gesprächs nicht erwartet. Nach einem Blick zu Ashakida eilte Simon Libor nach. An der Tür hielt er ihn auf. »Warum willst du uns nicht helfen?«
Libor sah ihn abschätzig an »Ist das so schwer zu verstehen? Es ist zu gefährlich! Ich bringe niemanden in Gefahr, nur weil ihr euch mit Drhan anlegen wollt. Uns geht es gut hier unten. Und das setze ich nicht wegen euch aufs Spiel.« Er winkte den Rothaarigen zu sich. »Bring sie dahin zurück, wo du sie hergeholt hast.« Und ohne Simon noch einmal anzusehen, verließ er den Raum.
Nacheinander gingen die Kinder durch den Ausgang, der Konferenzraum leerte sich. Nur Philja blieb bei ihnen stehen.
Der pickelige Jugendliche, der vorhin noch über Simons Bericht gelacht hatte, war als Letzter an die Tür getreten, doch er zögerte, weiterzugehen. Er wartete, bis alle Ratsmitglieder außer Philja den Raum verlassen hatten. Dann blickte er Simon an. »Bist du wirklich ein Torwächter?«
Simon nickte und griff mit seiner Hand zu dem Ring, den ihm sein Vater gegeben hatte.
Das Pickelgesicht folgte seinem Blick. »Ich glaube, ich weiß, wo dein Großvater ist.«
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36
Simon war überrascht. »Du hast meinen Großvater gesehen?« Für einen Augenblick fürchtete er, der Junge wollte sich über ihn lustig machen. Doch das Pickelgesicht wies auf eine Stelle unter dem linken Ohr. »Hat er hier eine dunkle Stelle auf der Haut?«
Simons Herz klopfte. Sein Großvater hatte tatsächlich ein Muttermal am Hals. Er nickte aufgeregt. »Was ist mit ihm?«
»Er ist hier in der Stadt.«
Simon eilte zur Tür, schloss sie und zog das Pickelgesicht auf einen Stuhl. Vorhin, während der Ratssitzung, hatte der Junge
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