Der Torwächter Bd. 2 - Die verlorene Stadt
sich auf. »Ich hab ihm nichts verraten!«
»Und meinen Name hat er erraten?«
Ein leises Kichern lief durch den Raum.
Libor wandte sich ab, ohne Philja weiter zu beachten. Er setzte sich und betrachtete interessiert Simon, während ein überhebliches Lächeln um seine Mundwinkel spielte. »Dann lass mal hören.«
Misstrauisch sah Simon ihn an. Ihm gefiel der Ton nicht, in dem Libor mit ihm sprach. »Was meinst du damit?«
Der oberste Ratsherr lehnte sich zurück. Sein Blick war kühl. »Ich will wissen, warum Drhan euch hier hereingelassen hat.«
Simon war verblüfft. Wollte Libor damit andeuten, sie würden mit Drhan unter einer Decke stecken? Er wurde ärgerlich. Doch nach einem leisen Fauchen von Ashakida, die seine Gefühle las, zügelte er seinen Zorn und begann ruhig zu berichten.
Die Gesichter, in die er sah, während er von den letzten Wochen berichtete, waren erstaunt, amüsiert oder bei manchen gar abweisend. Einige der Kinder lachten, andere begannen zu tuscheln, und je länger er sprach, desto unruhiger wurde es. Niemand schien zu glauben, was er erlebt hatte.
Ein pickeliger Junge, er war etwas älter als Simon, stand auf. »So ein Quatsch!« Er lachte ein wenig zu laut und warf dabei einen Beifall heischenden Blick zum obersten Ratsherr. Auch andere Kinder lachten.
Jetzt reichte es Ashakida. Mit einem eleganten Satz sprang die Leopardin auf den Konferenztisch. Sie zeigte ihre Zähne und fauchte so lange, bis alle auf sie aufmerksam wurden und erschrocken verstummten. Langsam, mit gleitenden Bewegungen, schlich sie entlang des Ovals und sah jedem, der an dem Tisch saß, in die Augen. Schließlich blieb sie vor Libor stehen und musterte ihn ausgiebig, dann setzte sich und legte den Schwanz um ihre Pfoten.
»Mein Name ist Ashakida«, sagte sie und strich sich mit der Tatze ein Staubkorn von ihrem Fell.
Überrascht schrien die Kinder auf. Es war das erste Mal, dass sie die Leopardin sprechen hörten.
Ashakida knurrte kurz und sah in die Runde, bis es wieder ruhig war. Dann blickte sie zu Libor, der ein wenig blass um die Nase geworden war. »So, mein Lieber, jetzt bist du dran. Erzähl uns von eurer Stadt.«
Libor schluckte und nestelte an seinem Lederarmband. Kurz dachte Simon, dass er keinen Laut herausbekommen würde, doch dann begann der oberste Ratsherr zu erzählen. Er ließ die Leopardin dabei nicht aus den Augen.
So wie es Philja gesagt hatte, hatten sich die Kinder und Jugendlichen in Familien zusammengetan. Es gab viele dieser Gruppen, sie lebten in den Bunkern und Tunneln unter der Stadt. Die meisten Familien hatten sich im Rat zusammengeschlossen, um sich gegenseitig zu helfen und um sich gemeinsam gegen Drhans Soldaten zu verteidigen. Ein paar wenige hielten sich von den anderen fern und schlugen sich alleine durch. Vom Leben über der Erdoberfläche erzählte Libor nur wenig, er wisse nicht viel, behauptete er, sie würden sich selten hinauf an die Oberfläche wagen. Nur wenn ihre Vorräte zur Neige gingen oder die Familien Dinge brauchten, die es nicht in einem der Lagerräume in den alten Bunkeranlagen gab, schickte der Rat einen Expeditionstrupp nach oben: Es sei einfach zu gefährlich, sich in den Straßen der Stadt zu bewegen, auch wenn alle Erwachsenen Schläfer waren.
»Schläfer? Was bedeutet das?« Simon hatte dieses Wort schon einmal von Philja und dem blonden Mädchen im Bunker gehört.
»Die Erwachsenen da oben sehen so aus, als ob sie wach sind«, mischte sich das Pickelgesicht ein, »aber eigentlich schlafen sie.« Libors Blick traf ihn, und er verstummte sofort.
»Sie sind abwesend«, versuchte Libor es zu erklären. »Sie haben die Augen offen, aber sie reagieren auf nichts. Als ob ihr Geist nicht da ist.« Aber die Schläfer seien nicht das Problem, von ihnen gehe keine Gefahr aus. Gefährlich seien die Soldaten Drhans. Und die patrouillierten durch die Straßen der Stadt.
»Was ist mit euren Eltern? Wo sind sie?«
»Wir wissen es nicht.« Ein Schatten lief über Libors Gesicht. Kaum einer von ihnen, erzählte er, könne sich noch an seine Eltern erinnern. »Vermutlich leben sie irgendwo da oben und haben vergessen, dass es uns hier unten gibt.«
»Aber warum seid ihr hier? Warum konntet ihr Drhan entkommen und die Erwachsenen nicht?«
Libor zuckte mit den Schultern. Sie seien, erzählte er, in den Gängen unter der Stadt aufgewachsen. Warum, das wüssten sie nicht. »Manchmal finden wir kleine Kinder, so als hätte sie jemand unter der Stadt ausgesetzt.
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