Der Torwächter Bd. 2 - Die verlorene Stadt
voranstoßen würde, doch sein Begleiter wartete, bis er von selbst durch die Öffnung getreten war. Krachend fiel die Tür hinter ihm ins Schloss.
Der Hüne zog den Schlüssel ab und ging zurück zur Treppe. Simon war entsetzt. »Du kannst mich doch nicht im Dunkeln zurücklassen!«
Wortlos ging der Hüne weiter.
»Lass mir wenigstens die Fackel da!«
Der Hüne reagierte nicht auf Simons Worte. Ohne zurückzuschauen, stieg er die Treppe hinauf und nahm das Licht mit sich. Die Dunkelheit legte sich wie ein schwerer Vorhang über den Raum.
Simons Sinne waren bis zum Äußersten gespannt. Er stand in der Finsternis und horchte. Die Schritte des Hünen waren verklungen, offenbar hatte er den Raum oberhalb des Kellers verlassen. Vermutlich war sein Begleiter auf dem Weg zurück zur Versammlung der Dorfbewohner, die dort gerade berieten, was sie mit dem fremden Jungen tun sollten.
Doch still war es nicht. Von überall her waren Geräusche zu hören: hier ein Schaben, dort ein Trippeln, so als ob das Dunkel gefüllt wäre mit vielen Tieren, die vorsichtig näher kamen. Simon wollte sich lieber nicht vorstellen, wer oder was dort alles lauerte. Allein der Gedanke an die Ratte, die er gesehen hatte, genügte ihm. »Haut ab!«, brüllte er und trampelte mit den Füßen auf, so fest er konnte. Mit hastigen Trippelschritten huschten die Wesen davon. Staub wirbelte auf, Simon spürte es, als er Luft holte. Hustend trat er zur Seite, bis er gegen das Gitter stieß und sich dort festhielt.
Er horchte. Nun war es still, absolut still.
Simon lehnte den Rücken an das Gitter und ließ sich langsam auf den Boden hinabgleiten, bis seine Hände die festgestampfte Erde ertasteten. Er setzte sich. Verzweifelt legte er das Gesicht in seine Hände. Er sollte der Torwächter sein? Der Nachfolger seines Großvaters und seines Vaters? Simon musste lachen, obwohl ihm nicht danach zumute war. Er war nur ein Junge, gefangen in einem Keller, in einer Welt weit weg von der seinen. Sein Großvater war irgendwo in dieser Welt verschwunden. Und seine Familie war vielleicht schon tot. Und alles war seine Schuld! Simon dachte an seinen Vater, der ins Krankenhaus gebracht worden war, bevor das Eis kam, er dachte an seine Mutter und seinen Bruder, die im brennenden Dorf zurückgeblieben waren. Er spürte einen Kloß im Hals. Simon schluckte ihn herunter und zog die Nase hoch.
Plötzlich hörte er hinter sich ein Fauchen.
[zurück]
5
Simon fuhr herum. Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit. Er hörte nichts außer dem Klopfen seines Herzens. Oder war da ein Atmen, ganz nah vor ihm? Auf einmal glommen zwei Punkte in der Dunkelheit auf. Simon erschrak, doch fast im gleichen Augenblick erkannte er, was da leuchtete.
»Ashakida!«
Ein leises Knurren antwortete ihm.
Simon trat vor und streckte seine Hand aus, bis er auf der anderen Seite des Gitters den warmen, weichen Körper der Leopardin ertastete. Er hatte nicht bemerkt, wie sie in den Keller gekommen war.
Die Leopardin stupste ihren Kopf gegen seine Hand. Ihre Stimme klang amüsiert. »Kaum lasse ich dich alleine, schon kommst du in Schwierigkeiten.« Sonderlich besorgt schien sie nicht zu sein.
Simon spürte, wie sie an das Gitter trat und ihren Körper etwas drehte, um ihn zwischen zwei Stäben hindurchzuschieben. Zuerst glitt ihr Kopf und dann ihr Rumpf durch den Zwischenraum, bis sie bei ihm auf der anderen Seite war.
Simon war froh, nicht mehr alleine zu sein. »Wo warst du?«
»Das weißt du doch. Bei der Versammlung der Dorfbewohner.«
»Aber warum hast du nichts gemacht? Hast du nicht mitbekommen, dass mich dieser Typ abgegriffen hat?«
Ashakida gähnte. »Leider erst, als er dich schon hatte.« Sie streckte sich.
Simon war ärgerlich, wie wenig das alles die Leopardin zu bewegen schien. »Du holst mich doch hier raus, oder?«
»Warum sollte ich?« Ashakida drehte sich einmal im Kreis und ließ sich auf dem Boden nieder. Simon spürte ihr Fell an seinem Bein hinabgleiten.
»Aber ich kann doch nicht hierbleiben!«
»Warum nicht? Hier ist es trocken, einigermaßen sauber und sicher bist du hier auch.«
Simon war anderer Meinung, er musste an die Geräusche denken, die er in der Dunkelheit gehört hatte.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, schoss die Leopardin plötzlich hoch und sprang mit einem Satz von ihm fort. Ein Quieken ertönte, etwas schrie in Todesangst auf und eilte davon, mit langen Sprüngen, die sich in der Tiefe des Raumes verloren.
»Jetzt ist es
Weitere Kostenlose Bücher