Der Tote am Steinkreuz
schüttelte den Kopf.
»Es war Menma, der seinen Todesschrei hörte und ins Schlafzimmer meines Vaters stürmte, wo er Móen auf frischer Tat ertappte.«
»Ach ja, Menma. Und wer ist Menma?« erkundigte sich Fidelma und überlegte, wo sie den Namen schon einmal gehört hatte.
»Er ist der oberste Wärter der Pferde meines Vaters«, Crón hielt inne und verbesserte sich, » meiner Pferde.«
Fidelma fiel ein, daß Dignait den Namen erwähnt hatte.
»Soweit es deine eigene Kenntnis anbelangt«, fuhr Fidelma nach kurzer Pause fort, »liegt der Fall ganz klar und einfach? Du findest nichts Zweifelhaftes oder Geheimnisvolles daran?«
»Es gibt kein Geheimnis. Die Tatsachen sind eindeutig.«
»Was meinst du, aus welchem Grund Móen sowohl Eber als auch Teafa töten sollte?«
Die Antwort kam ohne Zögern.
»Es gibt kein logisches Motiv. Aber Logik war nie ein Bestandteil von Móens Welt.« Ihre Stimme klang bitter.
Fidelma versuchte den Sinn ihrer Worte zu begreifen.
»Wie ich hörte, hat Teafa Móen von Kindheit an aufgezogen. Er hatte ihr viel zu verdanken. Willst du damit sagen, daß Logik bei dieser Tat keine Rolle gespielt hat? Was betrachtest du dann als das Motiv, denn ein Motiv muß es doch wohl geben?«
»Wer kann wissen, was in dem dunklen, stillen Gemüt eines solchen Geschöpfs wie Móen vor sich geht?« erwiderte die Tanist.
Einen Augenblick fragte sich Fidelma, ob sie eine Erklärung für ihre Wahl der Worte verlangen solle. Sie meinte aber, sie solle sich nicht beeinflussen lassen, bevor sie nicht mit Móen gesprochen hatte. Doch vorher mußte sie erst noch mit einem anderen sprechen, nämlich dem, der Móen bei dem Mord an Eber überrascht hatte.
»Nun werde ich mit Menma sprechen«, verkündete sie.
»Die Mühe kann ich dir ersparen«, erwiderte Crón scharf, »denn ich kenne alle Einzelheiten des Falls. Menma und Dubán haben sie mir berichtet.«
Fidelma lächelte dünn.
»Das ist nicht die Arbeitsweise eines dálaigh. Es ist wichtig, daß ich die Tatsachen aus erster Hand erfahre.«
»Wichtig ist vor allem, daß du die gesetzliche Strafe über Móen verhängst. Und das bald.«
»Du hegst also keinerlei Zweifel daran, daß Móen die Tat begangen hat?«
»Wenn Menma sagt, daß er Móen auf frischer Tat ertappt hat, dann hat er sie auch begangen.«
»Das bezweifle ich nicht«, sagte Fidelma und stand auf. Eadulf folgte ihr, und sie gingen zur Tür.
»Was wirst du mit Móen machen?« fragte Crón verblüfft, denn sie war es nicht gewohnt, daß jemand in ihrer Gegenwart aufstand und fortging, ohne von ihr förmlich entlassen zu sein.
»Machen?« Fidelma blieb stehen und blickte einen Moment zu der Tanist zurück. »Vorerst nichts. Erst müssen wir mit allen Zeugen sprechen und dann eine gerichtliche Anhörung abhalten, bei der Móen seine Verteidigung vortragen kann.«
Crón überraschte sie damit, daß sie in schallendes Gelächter ausbrach. Es hörte sich etwas hysterisch an.
Fidelma wartete geduldig ab, bis es aufhörte, und fragte dann: »Vielleicht kannst du uns sagen, wo wir Menma finden?«
»Zu dieser Zeit findet ihr ihn in den Pferdeställen gleich hinter dem Gästehaus«, antwortete Crón unter erneutem Kichern.
Sie brachte ihre Belustigung unter Kontrolle und rief ihnen zu, sie sollten noch einen Moment bleiben. Sie wurde ernst.
»Es wäre klug, das Urteil in diesem Fall möglichst bald auszusprechen. Mein Vater war bei seinem Volk sehr beliebt. Er war freundlich und großzügig. Es gibt hier viele, die meinen, daß die alten Strafgesetze einem solchen Verbrechen nicht angemessen sind und daß die Worte des neuen Glaubens, die Worte der Vergeltung, geeigneter dafür sind. Auge um Auge, Zahn um Zahn, Feuertod um Feuertod. Wenn du Móen nicht schnell aburteilst, könnten sich eifrige Hände finden, die selbst Gerechtigkeit üben.«
»Gerechtigkeit?« Fidelmas Ton war eisig. Sie fuhr herum und trat der jungen Tanist entgegen. »Du meinst wohl Rache des Pöbels? Nun, als gewählte Fürstin dieses Stammes – vorausgesetzt, du wirst durch die derbfhine im Amt bestätigt – kannst du dies von mir weitergeben: Wenn jemand Hand an Móen legt, bevor er vor Gericht gestellt und nach dem Gesetz verurteilt ist, dann wird ihn selbst das Urteil treffen. Das verspreche ich, ganz gleich welchen Ranges er sein mag.«
Crón schluckte schwer.
Fidelma begegnete dem Blick ihrer feindseligen blauen Augen mit gleicher Kälte.
»Eins möchte ich noch wissen«, setzte sie hinzu. »Wer hat die
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