Der Tote am Steinkreuz
Worte der Vergeltung im Namen des neuen Glaubens gepredigt?«
Die Tanist hob das Kinn.
»Ich sagte dir schon, daß wir hier nur einen haben, der uns in Glaubensdingen betreut.«
»Pater Gormán?« vermutete Eadulf.
»Pater Gormán«, bestätigte Crón.
»Dieser Pater Gormán scheint den Geist der Gesetze der fünf Königreiche nicht begriffen zu haben«, bemerkte Fidelma trocken. »Und wo findet man diesen sanftmütigen Vertreter des Glaubens? In seiner Kirche?«
»Pater Gormán besucht gerade einige entfernte Bauernhöfe. Er wird morgen zurück sein.«
»Ich freue mich darauf, ihn kennenzulernen«, erwiderte Fidelma und verließ die Halle.
Menma erwies sich als ein untersetzter Mann mit einem häßlichen Gesicht und einem buschigen roten Bart. Er saß vor den Pferdeställen auf einem Baumstumpf und schärfte eine Hippe mit einem Wetzstein. Als sie sich ihm näherten, hörte er damit auf und sah sie an. Seine Miene verriet Verschlagenheit. Langsam stand er auf.
Eadulf hörte, wie Fidelma tief Luft holte, und blickte sie überrascht an. Sie betrachtete forschend das Fuchsgesicht Menmas. Eadulf gewahrte einen üblen ranzigen Geruch. Angewidert bemerkte er, wie schmutzig und verfilzt Haar und Bart des Mannes waren, und veränderte leicht seine Stellung, damit ihm der Wind nicht mehr den Gestank zutrug.
Menma zupfte ein paarmal an seinem roten Bart.
»Du weißt, daß ich eine Anwältin bei Gericht bin und im Auftrag des Königs von Cashel den Mord an Eber untersuche?« sagte Fidelma.
Menma nickte langsam.
»Das habe ich gehört, Schwester. Die Nachricht von deinem Kommen hat sich hier schnell verbreitet.«
»Wie man mir berichtet, hast du die Leiche Ebers entdeckt?«
Der Mann blinzelte.
»Das stimmt«, sagte er nach kurzer Überlegung.
»Was ist deine Aufgabe im rath von Araglin?«
»Ich bin oberster Stallwärter der Pferde des Fürsten.«
»Dienst du dem Fürsten schon lange?«
»Crón ist der vierte Fürst von Araglin, dem ich diene.«
»Vier? Das ist sicher eine lange Dienstzeit.«
»Ich war Stallbursche bei Eoghan, an den das hohe Steinkreuz erinnert, das die Grenze des Stammeslandes am Weg vom Gebirge da drüben kennzeichnet.«
»Das haben wir gesehen«, bestätigte Eadulf.
»Dann kam Eoghans Sohn Erc, der im Kampf gegen die Uí Fidgente fiel«, fuhr Menma fort, als habe er ihn nicht gehört. »Und nun ist Eber in die andere Welt eingegangen. Also diene ich jetzt seiner Tochter Crón.«
Fidelma wartete einen Moment, aber mehr kam nicht. Sie unterdrückte einen Seufzer.
»Erzähl mir, wie du Eber gefunden hast.«
Menma schaute sie mit seinen blaßblauen Augen etwas verwirrt an.
»Wie, Lady?«
Fidelma fragte sich, ob der Mann leicht schwachsinnig sei.
»Ja«, erwiderte sie und bemühte sich um Geduld. »Sag mir, wann und wie du die Leiche Ebers gefunden hast.«
»Wann?« Das breite Gesicht des Mannes verzog sich. »Das war in der Nacht, als Eber ermordet wurde.«
Bruder Eadulf wandte sich ab, um seine Belustigung zu verbergen.
Fidelma stöhnte innerlich, als ihr klar wurde, mit was für einem Menschen sie es zu tun hatte. Menma war schwer von Begriff. Nicht schwachsinnig, sondern einfach jemand, dessen Gedanken sich langsam und schwerfällig bewegten. Oder tat er nur so?
»Und wann war das, Menma?« lockte sie ihn.
»Ach, das war vor sechs Nächten.«
»Und die Zeit? Zu welchem Zeitpunkt fandest du die Leiche Ebers?«
»Es war vor Tagesanbruch.«
»Was tatest du in der Wohnung des Fürsten vor Tagesanbruch?«
Menma hob eine mächtige, knochige Hand und fuhr sich durchs Haar.
»Es ist meine Aufgabe, die Pferde auf die Weide zu treiben und das Melken der Kühe Ebers zu beaufsichtigen. Es ist auch meine Aufgabe, für die Küche des Fürsten zu schlachten. Ich stand auf und ging zu den Pferdeställen. Als ich an Ebers Wohnung vorbeikam …«
Fidelma beugte sich rasch vor.
»Verstehe ich dich recht, daß der Weg von deiner Hütte zu den Pferdeställen an der Wohnung Ebers vorbeiführt?«
Menma starrte sie verblüfft an, als begreife er nicht, weshalb sie die Frage stellte.
»Das weiß doch jeder.«
Fidelma zwang sich zu einem leichten Lächeln.
»Du mußt Geduld mit mir haben, Menma, denn ich bin hier fremd und weiß so etwas nicht. Kannst du mir Ebers Wohnung von hier aus zeigen?«
»Von hier nicht, aber von da.«
Menma hob seine Hippe und wies mit der Klinge auf die Stelle.
»Zeig sie mir.«
Widerwillig führte Menma sie von den Ställen hinten um das Gästehaus herum und
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