Der Tote am Steinkreuz
Móen auch mit jedem verwandt?«
Die alte Verwalterin erschauerte sichtlich und bekreuzigte sich.
»Er nicht! Er war ein Findelkind. Wer weiß, aus welchem Schoß er kam oder wessen Same den Fluch über den Schoß brachte? Lady Teafa, Friede ihrer irregeleiteten Seele, fand ihn als Baby. Das war ein Unglückstag für sie.«
»Weiß man denn, warum Móen Teafa oder den Fürsten Eber umgebracht haben sollte?«
»Das weiß sicher nur Gott, Schwester. Nun entschuldige mich …« Sie wandte sich abrupt zur Tür. »Ich habe zu arbeiten. Während ihr euch wascht, werde ich Menma Anweisungen wegen eurer Pferde geben und dafür sorgen, daß man euch etwas zu essen bringt.«
Fidelma starrte ein paar Augenblicke auf die geschlossene Tür, hinter der die Alte verschwunden war.
Eadulf schaute sie fragend an.
»Was beunruhigt dich, Fidelma?«
Fidelma ließ sich nachdenklich auf eine Bank sinken.
»Vielleicht hat es nichts zu bedeuten. Aber ich habe das Gefühl, daß diese Dignait vor irgend etwas Angst hat.«
K APITEL 5
Als sie sich vom Staub der vormittäglichen Reise gereinigt und ihr Mittagsmahl eingenommen hatten, kehrten sie in die Festhalle zurück. Crón war davon benachrichtigt worden und erwartete sie dort. Sie saß in ihrem Amtssessel und hatte für sie Stühle unterhalb des Podiums ihr gegenüber aufstellen lassen.
Crón erhob sich widerstrebend, als Fidelma und Eadulf eintraten. Es war eine kleine, wenn auch widerwillige Achtungsbezeigung auf Grund der Tatsache, daß Fidelma die Schwester des Königs von Cashel war.
»Habt ihr euch nun erfrischt?« fragte Crón und wies auf die Stühle, die für sie bereitstanden.
»Ja«, antwortete Fidelma und setzte sich. Sie war ein wenig verärgert, denn es störte sie, daß sie zu Crón in ihrem Sessel aufsehen mußte. Fidelmas Rang als dálaigh und ihr juristischer Grad als anruth gestatteten es ihr, auf gleicher Ebene mit Königen zu sprechen, von kleinen Fürsten ganz zu schweigen; sogar in Gegenwart des Großkönigs in Tara konnte sie, wenn sie eingeladen war, auf der gleichen Ebene sitzen und sich frei unterhalten. Fidelma achtete genau auf die Einhaltung solcher Etikette, freilich nur, wenn andere ihre Stellung herauskehrten und ihren Rang mißachteten. Im Augenblick konnte sie allerdings ihren korrekten Platz nicht behaupten, ohne offene Feindseligkeit hervorzurufen, und sie zog es vor, genau zu erfahren, was hier vorgefallen war. Also sagte sie erst einmal nichts.
Eadulf folgte ihrem Beispiel, setzte sich neben sie und blickte interessiert zu der jungen Tanist auf.
»Nun können wir uns anhören, wie dein Vater Eber zu Tode gekommen ist, soweit du es weißt. Bitte die genauen Tatsachen«, sagte Fidelma und lehnte sich zurück.
Crón sammelte sich einen Augenblick, beugte sich leicht vor, faltete die Hände und richtete ihren Blick auf einen Punkt im Mittelgrund irgendwo zwischen Fidelma und Eadulf.
»Die Tatsachen sind einfach«, erklärte sie, als ob das Thema sie langweile. »Móen tötete meinen Vater.«
»Hast du das gesehen?« fragte Fidelma, als Crón keine Anstalten machte, ihre Feststellung zu begründen.
Crón runzelte ärgerlich die Stirn und sah auf sie herunter.
»Natürlich nicht. Du wolltest die Tatsachen wissen. Ich teile sie dir mit.«
Fidelma lächelte dünn.
»Ich glaube, es wäre am besten und läge im Interesse der Gerechtigkeit, wenn du mir berichtest, wie sich die Angelegenheit abspielte, doch nur aus deiner Sicht.«
»Ich bin nicht sicher, ob ich dich richtig verstehe.«
Fidelma verbarg ihre Ungeduld.
»Zu welchem Zeitpunkt hast du erfahren, daß Eber ermordet worden war?«
»Ich wachte in der Nacht auf …«
»Das war vor wie vielen Tagen?«
»Es war vor sechs Tagen. Kurz vor Sonnenaufgang, wenn du es genau wissen willst.«
Fidelma ignorierte den Spott in der Stimme der jungen Frau.
»Es liegt im Interesse aller Beteiligten in diesem Fall, so genau zu sein wie möglich«, erwiderte sie mit eisiger Höflichkeit. »Sprich weiter. Vor sechs Nächten wurdest du geweckt. Von wem?«
Crón blinzelte, als ihr die beißende Sanftheit des Tons bewußt wurde. Es war klar, daß sich Fidelma nicht von ihr einschüchtern ließ. Sie zögerte, dann zuckte sie die Achseln, als beuge sie sich ihrem Willen.
»Na schön. Vor sechs Nächten wurde ich kurz vor Sonnenaufgang geweckt. Es war Dubán, der Kommandeur der Leibwache meines Vaters, der mich weckte. Er hatte …«
»Beschränke dich auf das, was er dir wirklich sagte«,
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