Der Tote am Steinkreuz
lichten«, stellte sie mit Befriedigung fest.
Eadulf verzog das Gesicht. Er war verwirrt.
»Über Pelagius?« fragte er vorsichtig.
Fidelma kicherte.
»Über Pater Gormán«, verbesserte sie ihn.
»Du verdächtigst Pater Gormán, irgendwie in die Morde verwickelt zu sein?«
»Ich verdächtige jeden irgendwie. Aber du hast recht. Es ist klar, daß Gormán leidenschaftliche Gefühle für Cranat hegte oder noch hegt.«
»In ihrem Alter?« Eadulf war entsetzt.
Fidelma wandte sich ihrem Gefährten überrascht zu.
»Liebe kann man in jedem Alter empfinden, Eadulf von Seaxmund’s Ham.«
»Aber eine Frau in ihrem Alter und ein Priester …?«
»Es gibt keine Gesetze, die einem Priester untersagen zu heiraten, nicht einmal Rom verbietet das, obgleich ich zugeben muß, daß Rom es nicht billigt.«
»Willst du damit sagen, daß Pater Gormán einen Grund gehabt hätte, Eber den Tod zu wünschen?«
Fidelma verzog keine Miene.
»Dazu hatte er sogar allen Grund. Aber hatte er auch die Mittel, seinen Wunsch zu erfüllen oder für dessen Erfüllung zu sorgen?«
K APITEL 9
An jenem Abend speisten sie allein. Crón hatte sie nicht zum Abendessen in die Festhalle eingeladen, wie es das Protokoll normalerweise vorgeschrieben hätte. Eadulf war nicht sonderlich überrascht darüber. Wenn er die Ereignisse des Tages überdachte, war ihm klar, daß Fidelma wohl kaum jemanden im ganzen rath als Freund gewonnen hatte, abgesehen vielleicht von dem armen Móen. Bei allen anderen hatte sie sich sicherlich nicht beliebt gemacht. Daß Crón und ihre Mutter Cranat sich nicht zu ihnen gesellen wollten, war kaum verwunderlich.
Es war ein aufgeregtes junges Mädchen, das ihnen ihre Mahlzeit in das Gästehaus brachte. Es war dunkelhaarig, ungefähr sechzehn Jahre alt, beinahe unnatürlich blaß und schien sich vor ihnen zu fürchten. Fidelma gab sich Mühe, ihr durch freundliche Worte die Angst zu nehmen.
»Wie heißt du?«
»Ich bin Grella, Schwester. Ich arbeite bei Dignait in der Küche.«
Fidelma lächelte ermutigend.
»Gefällt dir deine Arbeit, Grella?«
Das Mädchen sah sie fragend an.
»Es ist meine Arbeit«, sagte sie einfach. »Ich bin in der Küche des Fürsten aufgewachsen. Ich habe keine Eltern«, fügte sie hinzu, als erkläre das alles.
»Ich verstehe. Dann muß dich der Tod deines Fürsten traurig stimmen, wenn du in seinem Haushalt aufgewachsen bist.«
Zu Fidelmas Überraschung schüttelte das Mädchen heftig den Kopf.
»Nein … nein, aber der Tod von Lady Teafa stimmt mich traurig. Sie war eine freundliche Dame.«
»Eber war nicht freundlich?«
»Teafa war nett zu mir«, antwortete das Mädchen ängstlich. Es wollte offensichtlich nicht schlecht über den toten Fürsten sprechen. »Lady Teafa war nett zu allen.«
»Und Móen? Magst du Móen?«
Auch diese Frage schien Grella zu verwirren.
»Mir war nicht wohl, wenn er in der Nähe war. Teafa war die einzige, die ihm sagen konnte, was er tun sollte.«
»Ihm sagen?« Fidelma griff den Satz sofort auf. »Wie sagte sie es ihm?«
»Sie konnte sich auf irgendeine Art mit ihm verständigen«.
»Weißt du, auf welche Art?« fragte Eadulf eifrig.
Das junge Mädchen schüttelte den Kopf.
»Ich hab keine Ahnung. Ein Klopfen mit den Fingern, hieß es, das beide verstanden.«
»Hast du es mal gesehen? Hat dir Teafa mal erzählt, wie es geht?« erkundigte sich Fidelma.
»Ich hab oft gesehen, wie sie es machte, aber ich hab’s nicht begriffen. Vielleicht war es nur eine vertraute Berührung mit der Hand, was ihn beruhigte.«
Grella hielt den Kopf schief, als suche sie in ihrem Gedächtnis nach irgend etwas. Dann lächelte sie leicht.
»Mir fällt was ein: Sie sagte, Gadra habe ihr das beigebracht.«
»Gadra? Wer ist Gadra?«
Grella bekreuzigte sich.
»Gadra ist ein Schreckgespenst. Man sagt, er stiehlt die Seelen unartiger Kinder. Jetzt muß ich aber gehen, sonst sucht mich Dignait. Ich kriege Ärger.«
Als sie fort war, aßen Fidelma und Eadulf in nachdenklichem Schweigen. Schließlich fand Eadulf den Mut, Fidelmas Unwillen zu riskieren und ihr eine Frage zu stellen, die ihn schon lange bewegte.
»Ist es klug«, fragte er zweifelnd, »alle Leute absichtlich in Harnisch zu bringen?«
Fidelma hob den Kopf.
»Ich höre einen mißbilligenden Ton heraus, Eadulf von Seaxmund’s Ham«, bemerkte sie ernst, doch ihre Augen funkelten mutwillig.
»Entschuldige, aber ich meine, manchmal erreicht man mit ein bißchen Takt und Klugheit ebensoviel wie mit
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