Der Tote am Steinkreuz
sie im Unterbewußtsein die Stimmen wahrgenommen. Eine von ihnen gehörte Dubán.
»Ich meine, du solltest ihr mehr Respekt erweisen«, sagte er ernst. »Wenigstens mache sie dir nicht unnötig zur Feindin.«
»Warum nicht? Lange ist sie nicht mehr hier. Ich meine, sie überschreitet ihre Befugnisse.«
Fidelma runzelte die Stirn, denn die andere Stimme war die Cróns. Das Gespräch fand in einem Nebenraum statt, dessen Tür nur angelehnt war. Katzengleich schlich sich Fidelma näher.
»Ich weiß, sie ist Colgús Schwester. Aber denkst du, sie wäre nur deshalb hergeschickt worden? Sie ist schlau. Diesen forschenden grünen Augen entgeht so leicht nichts.«
»Ach! Du hast die Farbe ihrer Augen bemerkt?« Die Antwort klang verdrossen. Erstaunt entdeckte Fidelma Eifersucht in der Stimme der Tanist.
Dubán entgegnete mit einem Lachen: »Ich habe bemerkt, daß sie sich nicht hinters Licht führen läßt. Je weniger du ihre Feindschaft herausforderst, desto besser, mein Schatz.«
Die Anrede ging ihm ziemlich leicht von den Lippen.
»Sie wird doch wohl nicht glauben, daß Móen unschuldig ist?« Crón klang etwas besänftigt.
»Ich meine, sie vermutet es. Pater Gormán glaubt, daß sie entschlossen ist, es zu beweisen. Er war ganz aufgeregt, als ich ihn gestern abend traf, nachdem er mit ihr gesprochen hatte.«
»Ich dachte, die Angelegenheit ließe sich leicht regeln. Wenn meine Mutter sich doch bloß nicht eingemischt hätte.«
»Nichts ist leicht, mein Schatz. Wenn sie wirklich glaubt, daß Móen unschuldig ist, dann wird sie nach anderen suchen, die ihn ermordet haben könnten. Du tätest gut daran, sie dir zur Freundin zu machen.«
Crón zog scharf den Atem ein.
»Sie könnte herausfinden, wie sehr ich meinen Vater haßte. Meinst du das?«
»Am Ende wird sie herausfinden, wie sehr jeder ihn haßte«, antwortete Dubán. »Jedenfalls mußt du dich um diesen blöden Muadnat kümmern. Ausgerechnet in diesem Augenblick mußte der im rath auftauchen und Ärger machen. Kannst du ihm nicht sagen, er soll verschwinden und nächste Woche wiederkommen, wenn alles vorbei ist?«
»Wie kann ich das, mein Lieber? Er hat nicht genug Verstand, um den Grund zu begreifen. Er könnte uns Probleme bereiten. Nein, ich muß die Sache in die Hand nehmen. Sag Muadnat, wie ich mich entschieden habe und daß er zur Mittagsstunde in der Festhalle erscheinen soll.«
»Dann behandle bitte die Schwester mit mehr Anstand.«
»Geh jetzt«, befahl Crón. »Es gibt noch viel zu tun.«
Fidelma schlich rasch auf Zehenspitzen zur Tür zurück. Dort nahm sie den Hammer und schlug gegen den hölzernen Block, bevor sie die Halle betrat, als wäre es das erste Mal. Crón kam aus dem Nebenraum. Sie war allein. Sie begrüßte Fidelma höflich, doch mit wachsamem Blick.
»Ich suche Dubán«, verkündete Fidelma.
»Weshalb glaubst du, daß er hier sein könnte?« wich ihr die Tanist aus.
»Sicher ist das hier doch ein guter Anfang, wenn man den Kommandeur deiner Leibgarde sucht?« fragte Fidelma unschuldig.
Crón erkannte ihren Fehler und rang sich ein Lächeln ab.
»Im Augenblick ist er nicht hier. Er war vorige Nacht lange unterwegs und ist wahrscheinlich noch gar nicht aufgestanden.« Die Lügen gingen ihr glatt über die Lippen. »Wenn ich ihn sehe, sage ich ihm, daß du dich nach ihm erkundigt hast. Jetzt entschuldige mich bitte, ich muß mich auf eine wichtige Angelegenheit vorbereiten.«
Fidelma ließ sich nicht so leicht abwimmeln.
»Vorbereiten?«
»Ich muß heute ein Urteil sprechen«, erwiderte Crón. »Geringere Fälle darf ich verhandeln, auch wenn meine Mutter mit meiner Gesetzeskenntnis nicht zufrieden ist.«
Es stimmte, daß ein Fürst bei unwesentlichen Fällen als Richter fungieren durfte, wenn kein Brehon bei der Hand war, um ihm zu helfen.
»Was für ein Fall ist es denn?«
»Keiner, der dich etwas angeht«, erwiderte Crón sofort. Doch dann lenkte sie ein. »Es handelt sich um einen Schaden, den Tiere angerichtet haben. Ein Bauer aus unserer Gemeinschaft verlangt Schadenersatz von einem anderen Bauern. Die Sache muß sofort entschieden werden, denn der Kläger hegt großen Zorn.«
Schadensfälle durch Tiere kamen oft vor. In jeder Landgemeinde waren Schäden am Boden oder an der Ernte, die Haustiere des Nachbarn verursacht hatten, der häufigste Anlaß zu Gerichtsverfahren. Im allgemeinen tauschten benachbarte Bauern daher tairgille genannte Kautionen aus, um mögliche Schadensfälle durch Haustiere
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