Der Tote am Steinkreuz
Zäune aufzustellen.«
Muadnat erhob sich langsam; er zitterte vor Empörung.
»Aber ich behaupte, er hat nachlässig und böswillig seine Schweine auf meinen Hof laufen lassen.«
»Die Nachlässigkeit kann nicht bestraft werden«, erwiderte Crón, »und Böswilligkeit erkenne ich nicht an. Du bist genauso verantwortlich für den Bau eurer Grenzzäune, Muadnat. Schwester Fidelma hat das Gesetz sogar großzügig ausgelegt, wenn sie es dir nicht als Schuld anrechnete, daß du die Zäune niedergerissen hast. Ich wäre vielleicht nicht so großmütig. Du hast dafür zu sorgen, daß die Zäune zum vorgeschriebenen Zeitpunkt stehen.«
Muadnat blickte Fidelma finster und haßerfüllt an. Er wollte zum Sprechen ansetzen, als ihn sein Neffe Agdae am Arm packte und warnend den Kopf schüttelte.
»Noch eins«, fuhr Crón fort. »Dafür, daß du diese schwere Beschuldigung ohne Berücksichtigung der Umstände und ohne richtige Kenntnis des Gesetzes vor Gericht gebracht hast, wirst du einen séd an mich und einen séd an Schwester Fidelma für ihre Rechtsberatung zahlen. Diese Strafe ist entweder in Geld oder im Gegenwert von zwei Milchkühen bis zum Ende dieser Woche an meinen Verwalter zu entrichten.«
Muadnat wandte sich zum Gehen, doch Crón hielt ihn zurück.
»Dann geht es noch um deine Strafe für die Beleidigung einer dálaigh zu Beginn der Verhandlung.«
Sie schaute Fidelma fragend an.
Mit ausdruckslosem Gesicht beantwortete Fidelma Cróns unausgesprochene Frage: »Für diese Beleidigung, deren volle Strafe meinen Sühnepreis betragen würde, gestatte ich Muadnat, den Wert einer Milchkuh für den Unterhalt der hiesigen Kirche zu spenden oder Arbeit im gleichen Wert bei ihrer Instandhaltung zu leisten, ganz nach seiner Wahl.«
Muadnat schäumte fast vor Wut.
»Denkst du denn, ich sehe deine Selbstsucht nicht, Tanist?« schrie er. »Tanist nennst du dich! Tanist durch Bestechung und Intrigen. Du bist keine richtige …«
Plötzlich stand Pater Gormán auf und kam nach vorn.
»Muadnat! Du vergißt dich!« ermahnte er ihn.
Der Priester legte dem zornigen Bauern die Hand auf den Arm, und mit Agdaes Hilfe führte er Muadnat aus der Festhalle hinaus. Man hörte ihn draußen noch weiterschimpfen. Cranat wartete nur wenige Augenblicke, dann erhob sie sich mit unziemlicher Hast und ging hinaus.
Crón blickte hinüber zu Archú und Scoth, die sich glückstrahlend in den Armen lagen.
»Du kannst gehen, Archú, aber höre noch meinen Rat …«
Archú trat erwartungsvoll näher und bemühte sich, ein ehrerbietiges Gesicht zu machen.
»Du hast in Muadnat einen unversöhnlichen Feind. Sei auf deiner Hut.«
Archú nickte bestätigend und schenkte Fidelma ein breites Grinsen. Dann nahm er Scoth bei der Hand, und sie eilten hinaus.
Mit einem tiefen Seufzer lehnte sich Crón zurück und schaute Fidelma bewundernd an.
»Du findest dich in dem Irrgarten der Gesetze wie auf einem geraden Weg zurecht, Fidelma. Ich wünschte, ich besäße deine Kenntnisse und dein Talent.«
Fidelma ließ das Kompliment kalt.
»Dafür wurde ich ausgebildet.«
»Meine Warnung an Archú gilt auch dir. Muadnat verzeiht nichts. Er war ein entfernter Vetter und Freund meines Vaters. Vielleicht hätte ich nicht so hart mit ihm umgehen sollen. Meine Mutter war heute nicht mit mir zufrieden.«
»Deine Mutter betrachtet Muadnat offensichtlich als ihren engen Freund.«
»Eine Fürstin kann keine engen Freunde haben. Ich kann meine Urteile nicht auf Freundschaft gründen.«
»Du kannst nur so handeln, wie es das Gesetz vorschreibt«, bemerkte Fidelma. »Das muß ich auch. Bei der Auslegung der Gesetze muß ein Brehon oder ein Fürst über allen Freundschaften stehen.«
»Ich weiß, daß du recht hast. Doch Muadnat ist eine Macht in Araglin. Er ist auch mit Pater Gormán eng befreundet. Sie sind oft zusammen.«
»Du sagtest, Muadnat war ein Verwandter und Freund deines Vaters Eber?« fragte Fidelma nachdenklich.
»Ja. Sie wuchsen zusammen auf und zogen gemeinsam in den Krieg gegen die Uí Fidgente.«
Fidelma überlegte einen Moment und zuckte dann innerlich die Achseln. Für ihre Untersuchung von Ebers Tod spielte Muadnat keine Rolle, denn zur Zeit des Mordes hatte er in ihrem Gerichtssaal in Lios Mhór gesessen. Sie stand auf und sah Dubán immer noch stramm dastehen.
»Vielleicht kann ich jetzt auf die Suche nach dem Einsiedler Gadra gehen?«
Crón erhob sich. Zum erstenmal seit Fidelmas Ankunft im rath zeigte sie offen ihren guten Willen.
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