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Der Tote am Steinkreuz

Der Tote am Steinkreuz

Titel: Der Tote am Steinkreuz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
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Königreichen hier und da noch Anhänger der alten Götter. Fidelma selbst war ihnen schon begegnet; sie lebten zurückgezogen und hielten an den alten Bräuchen und an dem alten Glauben fest. Sie konnte nicht umhin, manche ihrer Lehren zu bewundern. Der neue christliche Glaube hatte sich noch nicht vor so langer Zeit im Lande durchgesetzt, daß die alte Art sich gänzlich überlebt hätte.
    »So würde man ihn wahrscheinlich bezeichnen. Als Junge hörte ich schon Geschichten vom alten Gadra. Für uns war er immer alt. Wir wurden gewarnt, wir sollten uns von ihm fernhalten, denn der Priester sagte, er bringe den alten Göttern in den wilden Eichenwäldern Menschenopfer dar.«
    Fidelma schnaubte verächtlich.
    »Immer wird von Menschenopfern geredet, wenn man die Wahrheit eines religiösen Kults nicht erkennt. Die Gründerin meines Klosters in Kildare, die heilige Brigitta, war eine Druidin und die Tochter eines Druiden. Von solchen Menschen hat man nichts zu befürchten. Aber berichte mir mehr über Gadra. Weiß man, wann er in diese Gegend kam?«
    »Bestimmt nicht zu Ebers Zeit«, erwiderte Dubán. »Ich glaube, er kam, als Ebers Vater noch ein Junge war. Er hatte die Gabe des Heilens und der Weisheit.«
    »Wie konnte er die Gabe des Heilens besitzen, wenn er nicht an den wahren Gott glaubte?« unterbrach Eadulf etwas unwillig.
    Fidelma lächelte ihn an.
    »Einer solchen Logik kann man nicht widersprechen«, antwortete sie mutwillig.
    Eadulf wußte nicht recht, ob sie sich über ihn lustig machte.
    »Heilt er im Namen des Heilands Jesus Christus?« wollte er wissen.
    »Er heilt einfach die Leute, die mit einer Krankheit zu ihm kommen. Er heilt in niemandes Namen«, antwortete Dubán. »Natürlich verurteilte Pater Gormán alle, von denen er erfuhr, daß sie sich hatten von Gadra heilen lassen. Aber jetzt habe ich schon ein paar Jahre nichts mehr von Gadra gehört. Ich meine, er ist gestorben und wir verschwenden unsere Zeit mit dieser Reise.«
    Eadulf wollte etwas antworten, doch Dubán hob plötzlich die Hand zum Zeichen, daß sie ihre Pferde zügeln sollten.
    »Da vorn sehe ich eine Lichtung. Ich glaube, wir sind dicht bei dem Tal, in dem er früher wohnte.«
    Fidelma spähte nach vorn.
    »Hier wohnt Gadra?«
    Dubán nickte.
    »Bleibt hier zurück. Ich reite vor«, sagte er leise, »denn wenn er noch lebt, wird er mich wohl wiedererkennen.«
    Langsam und vorsichtig ritt er auf die helle Lichtung vor ihnen zu.
    Fidelma sah, daß die Lichtung nur eine kleine Schneise war, und in der Stille des Waldes hörte sie das Plätschern und Rauschen eines Baches. Sie meinte eine Holzhütte zwischen den Bäumen zu erkennen.
    Plötzlich schallte Dubáns Stimme laut herüber.
    »Gadra! Gadra! Ich bin Dubán von Araglin! Lebst du noch?«
    Eine Weile herrschte Schweigen.
    Dann kam eine Antwort. Die Stimme klang alt, aber tief und volltönend.
    »Wenn nicht, Dubán von Araglin, dann gibt dir jedenfalls ein Geist Antwort.«
    Dubáns Erwiderung war leiser, weder Fidelma noch Eadulf konnten sie verstehen. Nach einer Weile rief er ihnen laut zu, sie sollten auf die Lichtung kommen.
    Auf einem ebenen Stück Land an einem reißenden, schäumenden Bergbach stand eine sauber errichtete Holzhütte mit Rohrdach. Ein kleiner Garten mit Kräutern, Gemüse und ein paar Obstbäumen umgab sie. Dubán war abgestiegen und band sein Pferd an einen nahen Busch. Dicht daneben stand ein kleiner alter Mann mit einem weißen Haarschopf, der sich auf einen polierten Schlehdornstock stützte. Auf den ersten Blick wirkte er gebrechlich. Doch Fidelma erkannte schnell, daß dieser Eindruck täuschte. Er war schmal, aber sehnig. Sein loses Gewand war mit Safran gefärbt, und an einer Halskette trug er einen goldenen Ring mit alten Symbolen, wie sie Fidelma noch nie gesehen hatte.
    Fidelma schwang sich vom Pferd, reichte Eadulf die Zügel und ging auf den alten Mann zu. Ein paar Schritte von ihm entfernt blieb sie stehen.
    »Sei gesegnet, Gadra«, grüßte sie ihn und neigte leicht den Kopf.
    Sie blickte in ein freundliches Gesicht mit nußbraunem, wettergebräuntem Teint, in dem durchdringende helle Augen leuchteten. Sie schienen eher grau als blau. Das schneeweiße Haar fiel in Wellen bis auf die Schultern. Der weiche Bart war kurz geschnitten und ließ den Ring frei, der ihm vor der Brust hing. Gadra war unstreitig ein Greis, doch sein Alter ließ sich kaum schätzen, denn sein Gesicht war noch jung und faltenlos, und nur die eingesunkenen Schultern zeugten

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