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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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ihn. Nur für eine halbe Minute, dann ordnete er an, die Frauen in der Fronerei zu lassen, ihnen nichts zu essen zu geben und nicht mehr als eine Kruke Wasser zu trinken, er werde sie morgen befragen.
    Als er kurz nach Sonnenaufgang durch die Klappe der Kerkertür blinzelte und die beiden Frauen in Männerkleidern eng aneinander geschmiegt und in tiefem Schlaf im Stroh sah, entschied er verärgert, sie weiter schmoren zu lassen. Wenn sie erwachten, sollten sie ruhig noch hungern und dürsten, das würde die Verhöre abkürzen.
    Dass die Frauen sich geweigert hatten, ihre Namen zu nennen, hatte ihnen nichts genützt. Eine erkannte der ältere der beiden Nachtwächter, die Claes Herrmanns und Brooks zu Hilfe gekommen waren, die andere Grabbe.
    Neele Ellert war Magd bei den Heckers gewesen, Magda Knebusch war die einzige Tochter eines Kleinwarenhändlers, der im letzten Frühjahr sein Geschäft schließen musste. Zwei noch junge Frauen, wie viele in der Stadt.Beide waren nun ohne feste Arbeit. Das war Pech, aber kein Grund, ehrenwerte Männer zu überfallen und auszurauben.
    Wagner stutzte. An solche Zufälle glaubte er nicht: Auch einer der Überfallenen hieß Hecker. Er öffnete die kleine Holzkiste und holte die Zettel heraus, auf denen er mit seinem Bleistiftstummel alles notierte, was er herausfand oder was ihm dazu eingefallen war. Für jeden seiner Fälle gab es solche Zettel, je nach Anlass nur einen oder einen ganzen Stapel. Er brauchte die knitterigen Papierschnipsel selten. Sobald er etwas notiert hatte, war es auch in seinem Kopf festgeschrieben.
    Er sortierte die während der letzten Tage bekritzelten Zettel, legte sie nebeneinander auf den Tisch und überflog die Notizen. Die meisten waren kaum noch zu lesen. Die Bleistiftstummel, die sein Weddesenator ihm großzügig überließ – ein einfacher Weddemeister hätte sich solche Stifte niemals leisten können   –, waren von guter Qualität. Nach den Tagen in Wagners Rocktasche waren ihre Konturen trotzdem zu grauen Schatten verschwommen. Aber mit dem, was Wagner im Kopf hatte, reichten die Notizen aus. Er schob die Zettel wieder zusammen, stopfte sie in die Rocktasche und verließ die Fronerei.
    Als er zurückkehrte, waren seine Schritte beschwingt, sein Kinn in frischem Selbstbewusstsein vorgereckt. Mochten sie ihm erzählen, was sie wollten, er wusste nun, worum es gegangen war. Die Klärung der genauen Hintergründe würde nur eine Frage der Zeit und der Schärfe des Verhörs sein. Sollten sie nur beharrlich leugnen, er würde ihnen ihre Taten beweisen. Noch wusste er nicht genau, wie, doch das würde sich ergeben. Auch das.
    Der Kerker in der Fronerei war kein komfortables Gasthofzimmer. Die beiden Frauen, die Grabbe in die Stubeführte, waren schmutzig und brachten den Gestank des klumpigen Strohs und des Eimers für die Notdurft mit herein. Und den Geruch der Angst, den zahllose Gefangene in der düsteren Kammer hinterlassen hatten. Beide zählten nicht viel mehr als zwanzig Jahre, waren von mittlerer Größe und schlank, soweit das unter den groben Männerkleidern zu erkennen war. Fast hätte Wagner der Gedanke, diese zwei ganz durchschnittlichen Frauen seien in der Lage gewesen, ausgewachsene, gut genährte Männer zu überwinden, amüsiert. Leider fehlte ihm bei seiner Arbeit der Humor, und was hieß durchschnittlich? Diese Frauen waren seit ihrer Kindheit harte Arbeit gewöhnt, sie hatten stärkere Muskeln als so mancher Mann, der sein Leben im Kontor zubrachte.
    Wagner stellte zwei unbequeme alte Hocker ohne Lehne vor den Tisch. In seiner Anfangszeit hatte er die Delinquenten beim Verhör stehen lassen, inzwischen hatte er gelernt, dass sie sich erheblich unwohler fühlten, wenn sie saßen und zu ihm aufsehen mussten. Besonders, wenn er zudem hinter ihren Rücken auf und ab ging.
    Gleich einem Feldherrn vor der Schlacht hatte er eine Strategie erdacht, wie er die beiden Frauen gesprächig machen würde. Zwar glaubte er nicht, dass sie so schlichten Gemüts waren wie einfache Diebinnen, aber Frauen widerstanden doch nie lange. Zuerst wollte er sie gemeinsam befragen und dann, wenn ihnen die Angst in den Augen stand, allein, jede für sich. Sie würden flink die Schuld auf die jeweils andere schieben, es würde Tränen geben, Jammerei, und wenn er hier ein wenig versprach, dort ein wenig drohte, auch an die stets bereite Kammer für die ‹peinliche Befragung› erinnerte, an die Daumenschrauben, die Streckbank, die glühenden Zangen, wüsste er

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