Der Tote im Eiskeller
bald alles, was er wissen wollte. Was tat es, dass diese Art der Befragungnur noch in allerschwersten Fälle und mit der Erlaubnis des Rats durchgeführt werden durfte? Allein die Drohung zeigte gewöhnlich gute Wirkung.
Die Strategie kam nicht zum Einsatz. Er ließ Grabbe den beiden Frauen Wasser geben, ließ ihn großzügig die durstig geleerten Becher noch einmal füllen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. «Neele Ellert», fing er an, «und Magda Knebusch. Habt ihr geglaubt, wir bekommen eure Namen nicht heraus, ohne dass ihr so gnädig seid, sie uns zu sagen? Da kennt ihr mich schlecht. Aber jetzt werdet ihr mich ja kennen lernen. Ja, das werdet ihr. Und eins sage ich gleich: Es wird leichter für euch, wenn ihr sofort den Namen eurer Kumpanin nennt.» Er schob seinen Stuhl zurück, stand schwungvoll auf und sah an den Tisch gelehnt auf sie herab. «Ich höre. Könnt ihr nicht reden?» Er sah sie an, eine nach der anderen, und haftete seinen strengen Blick auf Neele Ellerts schon zitternde Lippen.
«Wir wissen überhaupt nicht, was Ihr von uns wollt», sagte die andere, Magda Knebusch, kühl. «Was heißt Kumpanin? Ich weiß nicht, was Ihr meint, und meine Freundin weiß es auch nicht. Die ganze Nacht haben wir gegrübelt, warum
wir
hier sind und nicht die Männer, die uns überfallen haben. Wir können das nicht verstehen. Die ganze Stadt weiß, dass Ihr und alle, die zu den Wachen gehören, die Übeltäter suchen, die ehrbare Männer überfallen. Nun habt Ihr sie gehabt und was geschieht? Ihr sperrt
uns
ein, die armen unschuldigen Opfer. Und seht uns an.» Sie hob ihr Haar und zeigte einen blutigen Kratzer unter dem Ohr, zeigte auf den dunkelblauen Fleck an ihrem Kinn. «Soll ich euch auch noch die Male von groben Händen auf meinen Armen zeigen? Wir sind die Opfer, niemand sonst.»
Wagner war baff. «Opfer», sagte er tonlos, «arm und unschuldig. Das soll ich glauben», brüllte er plötzlich, «so einAmmenmärchen? Wisst ihr eigentlich, wer euch geschnappt hat? Monsieur Herrmanns.
Der
soll
euch
überfallen haben? Ein Mitglied der Commerzdeputation? Du lügst verdammt schlecht, Frau, ganz schlecht.»
«Ich lüge überhaupt nicht. Ich weiß nur eins: Wir sind spazieren gegangen. Wir wollten einmal sehen, wie es nachts in der Stadt ist, wie die Straßen aussehen, das Wasser, die dunklen Häuser. Im Mondlicht, ja, leider war es ziemlich dunstig und meistens stand der Mond hinter Wolken. Euch mag so was nicht einfallen, Ihr könnt wann und so viel Ihr wollt», ihr frommer Augenaufschlag zeugte von Übung, «Gottes schöne Welt erleben. Zu jeder Tageszeit. Fragt Eure Madame Wagner, die wird das gleich verstehen. Man hört, sie laufe auch gerne nachts herum.» Wagners bedrohlichen Schnaufer und seine plötzlich gestrafften Schultern, die geballten Fäuste schien sie nicht zu bemerken. «Nur weil es auf den nächtlichen Straßen für sittsame Frauen wie uns zu gefährlich und unschicklich ist, haben wir Männerkleidung angezogen. Ja, ich weiß, das ist auch nicht schicklich, aber was soll man tun? Als schwache Frau. So ist es gewesen, und jetzt verlangen wir, dass Ihr uns sofort gehen lasst.»
«Ha!», schrie Wagner, hörte seinen schrillen Ton und riss sich zusammen. «Eure Räuberpistole ist fein ausgedacht, aber längst nicht fein genug. Jetzt werde ich euch beiden erzählen, wer ihr seid, und warum ihr hier nicht so schnell wieder rauskommt. Und wenn, dann nur vor den Richterstuhl.»
Es hatte Wagner den ganzen Vormittag gekostet, herauszubekommen, was er nun erzählte, verlässlich herauszubekommen, bis er darauf vertraute. Er war in Kontoren gewesen, in Läden und bei ehemaligen Nachbarn der Knebuschs; er hatte Jakobsen gefragt und zwei Frauen, von denen er nie zugeben würde, dass er sie kannte.
Friedrich Knebusch hatte einen Laden für Ellen- und Kurzwaren in der Nähe des Hafens gehabt, ein äußerst bescheidenes Unternehmen, es reichte gerade, ihn und seine Tochter Magda zu ernähren. Bis plötzlich die Ladenmiete erhöht wurde, bis plötzlich geflüstert wurde, Knebusch vertreibe schlechte Ware. Bis die Geschäfte bedrohlich zurückgingen. Bis – endlich – der Mietvertrag aufgekündigt wurde und Knebusch und Magda die Reste ihrer Ware auf den Märkten verkaufen mussten. Was ein schlechtes Geschäft war. Die guten Plätze für den Straßenverkauf waren besetzt und wurden heftig verteidigt, die Straßen waren voll von Bankrotteuren und Bettlern, die sich mit allerlei Kleinhandel durchs Leben
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