Der Tote im Eiskeller
grauen Wolken bedeckt, kühler Wind zerrte an den Röcken und Schultertüchern der Frauen. Sie sah die Menschen geschäftig über den Gänsemarkt eilen, dazwischen müßig schlendernde Damen, deren aufwendige Garderobe auf Gattinnen und Töchter derwenigen Reichen oder der ausländischen Gesandten und Adeligen schließen ließ. Sie sah bettelnde Kinder vor dem Griff eines Wachsoldaten flink einen Haken schlagen und mittendrin – endlich – ein vertrautes Gesicht.
Elsbeth drängte sich energisch durch die Menge. Die Köchin der Herrmanns’ war in Eile, wie gewöhnlich, wenn sie in der Stadt unterwegs war; als sie ihren Namen rufen hörte, verwandelte sich ihr gewöhnlich freundliches Gesicht zu einer grimmigen Maske.
«Ach, Ihr seid es, Mademoiselle Rosina.» Sie blieb stehen und versuchte ein Lächeln. «Wollt Ihr auch von der letzten Nacht hören? Ihr wäret wohl die Zwanzigste. Nun gut», seufzend stellte sie ihren Korb auf den Boden, «bei Euch weiß ich wenigstens, dass Ihr nicht aus purer Lust am Unglück fragt.»
Claes Herrmanns und Brooks, berichtete sie bereitwillig, waren bis auf ein paar Kratzer heil aus dem Gerangel mit den Frauen herausgekommen. Nein, Blut sei keines geflossen, auch nicht bei den Frauen, diesen Weibsbildern, die sich, wenn sie schon solche Eseleien anstellten, auch noch so dumm erwischen ließen. Einen Mann vor seinem eigenen Haus zu überfallen! Ein Schrei und die ganze Dienerschaft samt der der Nachbarn renne doch auf die Straße.
«Vielleicht stimmt sogar, was sie behaupten», schloss Elsbeth. «Aber nein», sie schob kopfschüttelnd die Unterlippe vor, «das behaupten alle.»
«Was, Mamsell Elsbeth? Was behaupten alle?»
«Dass sie es nicht waren, Mademoiselle Rosina. Nun muss ich aber laufen.» Sie nahm ihren Korb auf, sah Rosina mit verschmitztem Lächeln an und schlug das weiße Tuch zurück. «Mögt Ihr ein Pastetchen für den Weg? Blätterteig gefüllt mit Haschee von Gebratenem und Speck und Pilzen. Madame Herrmanns wird nichts dagegenhaben, wenn eines in Eurem Bauch landet. Oder besser zwei?»
Rosinas Appetit kehrte schlagartig zurück. Sie spürte ihren nagenden Hunger und biss mit glücklichem Seufzer in die würzig-saftige Pastete. Sie winkte Elsbeth nach und wusste, was sie nun als Erstes tun würde. Der Weg zur Post auf der Hohen Brücke war ihr nie zu weit.
«Und?» Wagner schloss die Tür zur Schreibstube der Fronerei. «Sind sie schon weich?»
Grabbe wiegte unschlüssig den Kopf. Der Weddeknecht sah müde aus, was aber nur an seinen stets schläfrig wirkenden Augenlidern lag, an dem ungepflegten, mit stumpfer Schere in Kinnhöhe abgeschnittenem sandfarbenem Haar, den knochigen, wie im Frösteln hochgezogenen Schultern. Trotzdem war er hellwach, seinen wässrigblauen Augen entging so wenig wie seinen Ohren. Grabbe war genau der Richtige, harmlos in Ecken herumzustehen oder durch die Straßen zu streifen, unsichtbar zu bleiben und alles zu sehen und zu hören. Grabbe war der geborene Spion.
Ob er auch der Richtige war, zwei in der Fronerei gefangene Frauen einzuschüchtern, war nicht so gewiss. Leider fehlte ihm die für seinen Beruf nötige Härte, eine Eigenschaft, die Wagner, wenn es darauf ankam, seit einigen Jahren mit einer gewissen Lust in sich spürte. Wagner, der so weich und harmlos wirkte, der schon in Gegenwart einer Senatorengattin zu schwitzen begann, fühlte sich stark und kalt, wenn er Delinquenten gegenüberstand. Ob Männer oder Frauen – das war ihm egal. Halunke war Halunke, und Gesetz war Gesetz.
«Ich weiß nicht recht», erklärte Grabe auf seine bedächtige Art. «Die hocken im Stroh und kriegen den Mund nicht auf. So langsam sollten wir ihnen doch was zu essengeben. Vielleicht geht’s dann besser. Sie sehen auch nicht so aus, als wären sie das übliche Gesocks.»
Wagner kaute auf der Unterlippe und trommelte mit seinen kurzen Fingern auf den Tisch. Dann schüttelte er den Kopf. «Später», sagte er, «bring sie rein. Sie können jetzt Wasser haben. Aber nicht im Kerker. Erst wenn sie hier sitzen.»
Wagner war in der vergangenen Nacht gerade zu Bett gegangen, als es heftig an seine Tür pochte. Karla starrte ihn erschreckt an, und während er noch überlegte, wer um diese Stunde bei ihm klopfen könnte, hörte er schon die Stimme eines Nachtwächters aus dem Katharinenkirchspiel. Die Nachricht, man habe die Kerle geschnappt, die diese Überfälle machten, machte ihn hellwach. Die zweite Nachricht, es seien Frauen, verwirrte
Weitere Kostenlose Bücher