Der Tote im Eiskeller
führen? Er stülpte seinen Hut über und stapfte zurück zur Fronerei.
KAPITEL 11
Die Aussicht vom kleinen Saal des Baumhauses war prächtig. Trotz des grauen Himmels bot die Elblandschaft ein heiteres Bild, und die Luft war so klar, dass das Harburger Schloss am südlichen Arm der Elbe deutlich zu erkennen war. Die Stimmung war weniger prächtig, was nicht nur daran lag, dass ein Leichenschmaus selten und auch dann wegen der Höflichkeit nur heimlich Anlass zu Heiterkeit gibt. Die Damen, die ihre dem Sarg folgenden Männer hier erwartet hatten, hatten die Zahl der Gäste wohl um ein gutes Drittel wachsen lassen, dennoch konnte sich niemand erinnern, je eine so bescheidene Trauergemeinde erlebt zu haben.
Auch die meisten dieser wenigen hätten sich gerne gedrückt, so wie die große Zahl der Geladenen, die mit mehr oder weniger guten Gründen schon dem Begräbnis fern geblieben waren. Zum Glück würden nur sieben Gänge serviert werden. Schon nach dem dritten erhob sich Elias Malthus und dankte allen, dass sie gekommen waren, seinen Schmerz zu teilen und seinem Bruder das letzte Geleit zu geben. Er erwähnte auch, wie ungemein er es zu schätzen wisse, dass sie einer umbarmherzigen Sitte die Stirn geboten und für jeden in der Stadt sichtbar den Sarg bis in die Gruft begleitet hatten.
Darauf folgte ein unbehagliches, nur von diskretem Hüsteln unterbrochenes allgemeines Schweigen. Das wussten schließlich alle, es war nicht nötig, es auch noch zu betonen. Nur der Stadtkommandant murmelte: «Sehr richtig, sehr richtig», aber der war auch kein gebürtiger Hamburger.
Dann bat Elias Malthus, ihn zu entschuldigen. Seiner Mutter sei nicht wohl, und auch wenn ihr Mademoiselle Lehnert und Madame Kjellerup mit einigen Nachbarinnen an diesem Tag beistünden, brauche sie nun ihren Sohn. Er verließ den Raum, alle lauschten seinen Schritten auf der Treppe nach.
«Tja», sagte Monsieur Polter in die Stille, «tja, traurige Sache. Wirklich fatal.»
Es wurde geseufzt, es wurde genickt, Gläser wurden hastig geleert – leider dachte der Pastor gar nicht daran, auch seines zu leeren, einige bewegende Worte zu sprechen und zu gehen. Er war ein noch junger Mann und kein bedeutender Vertreter seiner Profession, auch hatte er diese ungemütliche Skepsis in den Augen, die seiner Karriere kaum förderlich sein würde. Trotzdem war es nicht angebracht, die Tafel zu verlassen, solange er sich anschickte zu bleiben und die folgenden Gänge zu genießen. Aber da er nun begann, sich mit von jeglicher falschen Feierlichkeit freien Stimme mit seinem Tischnachbarn, dem Aufseher des Gänsemarktgartens, über seine Vorliebe für Ranunkeln und Kamelien zu unterhalten, dauerte es nur wenige Minuten, bis aus der ganzen Trauergemeinde eine munter plaudernde Tischgesellschaft geworden war.
Endlich wagte jemand, Claes Herrmanns nach seinem Abenteuer der vergangenen Nacht zu fragen. Schlagartig wurde es still, und alle Augen richteten sich erwartungsvoll auf Claes. Es hatte sich doch gelohnt zu bleiben.
Nur Anne lehnte sich leise seufzend zurück. Sie kannte die Geschichte auswendig, und der Gedanke, die beiden Frauen hätten auch drei oder vier Männer sein können, harte Kerle, gewohnt, mit Fäusten und Messern umzugehen, bereitete ihr immer noch Übelkeit.
Claes war froh, dass weder Hecker noch Müllerjohannunter den Gästen waren, der Spinnhausaufseher gehörte sowieso nicht in diese Gesellschaft. Es wäre ihm unangenehm gewesen, vor den Opfern der Überfälle von diesen Frauen zu berichten – sowieso, und weil er und Brooks sie im Handumdrehen überwältigt hatten. Sie waren wirklich keine besonders starken Frauen, wie man sie unter denen fand, die von Kindesbeinen an schwere Arbeit verrichten mussten.
Er erzählte seine Geschichte knapp und nüchtern. Niemand hatte anderes von ihm erwartet, trotzdem zeigten einige Gesichter Enttäuschung. «Ohne Brooks», schloss er bescheiden, aber der Wahrheit entsprechend, «wären sie alle entwischt, zumindest noch die Zweite.»
«Wenn man eine hat», erklärte der Stadtkommandant launig, «hat man bald alle. Frauen sind nun mal schwatzhaft wie Elstern. Solche Frauen, natürlich nur solche», ergänzte er mit einem Seitenblick auf seine die Stirn runzelnde Gattin.
«Diese wohl nicht», korrigierte Monsieur Bach, «soviel man hört, schweigen sie beharrlich. Sie sagen, sie seien nur spazieren gegangen, in Männerkleidern, weil es nachts sonst für Frauen zu gefährlich sei.»
Claes nickte.
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