Der Tote im Eiskeller
tust du hier?»
Rosina hatte die Stimme erkannt, bevor sie sich nach ihr umdrehte. Maline stand in der Tür des Schuppens und blickte sie ungläubig an.
«Sie ist mir nachgeschlichen», antwortete Rutger an ihrerstatt, «kreuz und quer und einmal im Kreis durch die Gänge. Komm», sagte er, «hier ist nicht der rechte Platz zum Austausch von Beichten. Nun geh schon», sagte er und schob Rosina vor sich her zum Schuppen.
Wer sie dort erwartete, konnte sie nicht mehr verblüffen. Der Raum war kaum mehr als ein durch eine Bretterwand vom Ziegenstall abgetrennter Verschlag. Auf dem gestampften Lehmboden standen außer einer grob gezimmerten Bettstelle ein schmaler Tisch und zwei Schemel und unter dem winzigen, mit einem Stück Sackleinen halb verhängten Fensterloch das kostbarste Stück: eine dunkelblaue, mit einem Blumenkranz bemalte Kiste. Auf einem Brett an der Wand war altes tönernes Geschirr aufgereiht, wenig mehr, als eine Person für eine Mahlzeit brauchte.
«Rosa?» Hanne schlug die Decke zurück und setzte sich auf ihrem strohgepolsterten Lager auf. «Was machst du hier, Rosa?»
«Nicht Rosa», knurrte Ermkendorf, «Rosina. Die Mademoiselle ist keine Tagelöhnerin, sondern eine von Malines Komödiantinnen.»
«Du bist Rosina?» In Hannes besorgte Miene schlich ein erkennendes Lächeln. «Maline hat von dir erzählt. Aber warum hast du im Garten gearbeitet? Das hat Maline nicht erzählt. Und warum als Rosa?»
«Wegen des Geldes», log Rosina. «Wir haben noch keine Spielerlaubnis. Eigentlich wollte ich mir nur den Garten ansehen, als der Aufseher mich für die Tagelöhnerin hielt – es war eine gute Gelegenheit. Ich glaube, Maline wusste nur, dass ich für einen Gärtner arbeite. Einen anderen vor der Stadt.»
Rosina fühlte sich schlecht, sie hatte genug von der Lügerei. Und Hanne zu belügen, die so freundlich war und noch blasser schien als am Tag zuvor, war doppelt schwer.
«Und warum bist du mir gefolgt?», fragte Ermkendorf. «Deine große Ohren sind mir nicht entgangen, als du im
Bremer Schlüssel
am Nebentisch gesessen hast. Ich kann …»
«Sie ist nur neugierig», fiel ihm Maline hastig ins Wort, «das wissen alle. So sind wir auf dem Theater, Rutger, das ist nichts Besonderes. Wärst du vor ihr hier gewesen und hättest erzählt, dass du sie bei Malthus gesehen hast …»
«Ja, neugierig», sagte Rosina rasch. Sie wusste sehr genau, dass das magere Wort für einen Mann wie Rutger Ermkendorf keine befriedigende Antwort sein konnte. Aber sie wollte keine Auskünfte geben, sie wollte welche haben.
«Und jetzt du, Maline. Wenn Hanne das Ziel deiner ‹Spaziergänge› war, warum hast du dann behauptet, du kenntest niemanden in der Stadt? Warum sollten wir nicht wissen, dass du Hanne kennst?»
Maline zuckte die Achseln. «Zuerst fand ich, es gehe euch nichts an, warum ich nach Hamburg will. Das war einzig meine Sache.»
«Und dann wollte ich es nicht», fuhr Hanne für Maline fort. «Was hättet ihr gedacht, wenn sie sagt, sie hat eine Freundin in einem Hurenhaus? Dazu eine, die ständig hustet.»
«Du meine Güte!» Rosina schüttelte unwillig den Kopf. «Wir sind Wanderkomödianten und kein Hoftheater. Außerdem lebst du nicht in dem Haus dort. Das war dumm, Maline, wir kennen Leute in der Stadt, vielleicht können wir helfen, damit Hanne eine bessere Wohnung findet.»
«Klar, das könnt ihr leicht», sagte Rutger Ermkendorf. «Wanderkomödianten kennen dazu bestimmt die richtigen Leute. Du hast keine Ahnung, die Stadt ist voll, und die Mieten steigen wie Wasser bei Springflut. Hier gibt’s keine halbwegs bewohnbaren Zimmer für Leute wie uns.»
«Und der da?» Rosina sah sich nach Ermkendorf um. Er stand breitbeinig wie ein Wachsoldat vor der Tür. «Warum sollten wir nicht wissen, dass du diesen Neunmalklugen kennst? Du musst ihn im
Bremer Schlüssel
doch erkannt haben.»
Bevor Maline antworten konnte, begann Hanne leise und trocken zu husten.
«Ganz ruhig, Hannchen», flüsterte Maline und legte stützend den Arm um ihren Rücken. «Versuche ganz ruhig zu atmen, nicht zu tief.»
Es nützte nichts. Der Husten wurde härter, krampfte und schüttelte den dünnen Körper. Als es vorbei war, sank Hanne nach Luft ringend zurück. In ihren Mundecken klebte blutiger Schaum.
«Danke», flüsterte sie und strich Maline über die Wange. «Es ist schon besser als das letzte Mal, findest du nicht?»
«Ganz sicher.» Maline tupfte den kalten Schweiß von Hannes Stirn. «Aber du musst
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