Der Tote im Eiskeller
etwas, das Benni nicht verstand.
«Kommt», flüsterte er, ließ die Säge fallen und zog sie am Ärmel. «Wir müssen schnell nach oben. Und Hilfe holen. Vielleicht …»
Ein dumpfes Geräusch ließ ihn herumfahren. Schon aus den Augenwinkeln sah er, wie sich die Tür des Kellers schloss, und bevor er noch schreien konnte, hörte er hastige Schritte sich rasch auf der Treppe entfernen. In blinder Panik warf er sich gegen die Tür. Sie bewegte sich nicht. Wer immer sie geschlossen hatte, hatte auch den Balken vorgelegt.
KAPITEL 4
Weddemeister Wagner schwitzte. Das lag nicht nur daran, dass seine Beine kurz und sein Bauch rund waren und er den langen Weg vom Drillhaus über die Lombardsbrücke und auf dem Wall entlang bis zu dem Garnisonsgärtchen auf der Bastion Eberhardus im Eilschritt marschiert war. Wagner schwitzte immer, wenn er einer Autorität gegenüberstand oder jemanden, den er als solche empfand. Einem Senator zum Beispiel oder, wie an diesem Morgen, einem Generalmajor und Stadtkommandanten. Er starrte auf den tadellos geschnittenen roten Rock des Stadtkommandanten und tastete nach seinem großen blauen Tuch, doch es war schon zu feucht, um noch halbwegs manierlich zu erscheinen. Er ließ es in der ausgebeulten Tasche seines eigenen dunklen, formlosen Rockes und fuhr sich rasch, bevor der wichtige Mann die unfeine Geste bemerken konnte, mit dem Ärmel über die Stirn.
Er hätte sich Zeit lassen können. Der Stadtkommandant hatte genickt, als ihm der Weddemeister gemeldet wurde, hatte sogar einen flüchtigen Gruß gemurmelt, doch seine Aufmerksamkeit galt einzig den Rosenstöcken des Rondells in der Mitte des Gartens hinter der Constablerwache. Der Freiherr von Eberstädt liebte Rosen und diese Stöcke ganz besonders, denn sie entstammten seiner eigenen Zucht, der wärmsten Freude seines Alters. Den ganzen Sommer brachten sie zarte, am Grund rosig schimmernde weiße Blüten hervor, ihr delikater Duft erinnerte ihn an die heiteren Sommer seiner jungen Jahre, an die Zeit, als seine Gattin, nun längst grau wie er selbst, ein zartes Geschöpfmit Rosenlippen gewesen war, das er im Sturm erobert hatte. Tatsächlich erinnerte er sich viel lieber an jene Zeiten und an diese spezielle Eroberung, als an die Siege, die er danach auf den Schlachtfeldern errungen hatte. Aber das wusste niemand, nicht einmal seine Gattin; er gestand es ja sich selbst nur in besonders milden Momenten ein.
Nun war der Generalmajor verstimmt, sogar betrübt. Der Sturm hatte die Rosenstöcke gerupft und gebrochen, der Regen die meisten der letzten, herbstlich bescheidenen Blüten zerschlagen. Ein Weddemeister, zuständig für Missetäter in Zivil, interessierte ihn heute noch weniger als an gewöhnlichen Tagen.
Wagner räusperte sich zum dritten Mal. Er war daran gewöhnt, dass man ihn warten ließ, gleichwohl – es kränkte ihn immer noch, und heute, gerade heute, hatte er keine Zeit zu warten.
«Wenn Euer Wohlgeboren eine Minute Eurer überaus kostbaren Zeit erübrigen könnte», begann er mutig. «In der vergangenen Nacht ist in das Drillhaus eingebrochen worden. Ich möchte nur wissen, ob auch wieder in die Pulverlager der Garnison …»
«Was für eine Verschwendung von Schönheit und
delicatesse
.» Von Eberstädt beugte sich vor, nahm behutsam eine abgeknickte Blüte zwischen Daumen und Zeigefinger und versuchte sie wieder aufzurichten. «Dahin», murmelte er. «Schon im September ein solcher Sturm. Das ist keine gute Ordnung, gar keine gute Ordnung!»
Wagner schnaufte vernehmlich, plötzlich war ihm egal, ob so ein Schnaufer Ungeduld und Insubordination verriet. Da der Kommandant ihn ignorierte, würde er eben gegen dessen Rücken reden. Wenn man lange und laut genug sprach, drehte sich ein solcher Rücken irgendwann um.
«Bei dem Einbruch sind Gewehre gestohlen worden»,erklärte er, «Waffen. Es ist von großer Wichtigkeit für mich, für das Wohl der Stadt, zu wissen, ob es unter dem Schutz des Unwetters auch weitere Einbrüche in die Arsenale der Garnison gegeben hat. Von großer Wichtigkeit, ja. Falls Ihr noch keine Meldung über die Ereignisse der vergangenen Nacht bekommen habt, könntet Ihr vielleicht Euren Adjutanten beauftragen, Auskunft einzuholen. Wenn es Euch möglich wäre, gleich.»
Von Eberstädt drehte sich mit einem Ruck zu Wagner um und sah auf den Mann mit dem geröteten, schwitzenden Gesicht hinunter. Er überragte ihn um einen Kopf.
«Das Drillhaus ist nicht Sache der Garnison», erklärte
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