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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Porzellanplatte zurück.
    «Pfefferminzlikör also», wiederholte sie lauter, als Anne weiter schweigend aus dem Fenster blickte. «Andererseits – sicher kommt Elsbeth mit Körben voller Fallobst aus dem Garten zurück. Eigentlich ist Pflaumeneis doch nicht so langweilig. Mit einem Schuss Portwein und einer Prise Zimt hört es sich sogar delikat an. Oder ist es zu früh für die Pflaumen? Ach, Anne, mein Liebe, mach nicht ein so verzagtes Gesicht. Du weißt doch, wie junge Mädchen sind, ihre Stimmungen wechseln wie das Wetter im April. Gewöhnlich kommen die Zweifel erst zwei Tage vor der Hochzeit, aber eine Verlobung ist auch kein Pappenstiel. Du wirst dich selbst gut daran erinnern.»
    «Sogar sehr gut. Aber ich war schon fünfunddreißig, als ich Claes geheiratet habe. Wenn man einundzwanzig ist wie Fenna und zudem sehr verliebt, sollte man doch nichts als Freude empfinden.»
    «Muss ich gerade dir erklären, dass es mit ‹sollte› und ‹müsste› so eine Sache ist? Nämlich eine verflixt schwierige? Wahrscheinlich vermisst Fenna nur ihren Vater. So ein dummes Ding», Augustas Stimme klang plötzlich gar nichtmehr gelassen, «warum macht sie den Mund nicht auf? Sie ist alt genug, um zu wissen, dass es nichts nützt, wenn man Kummer für sich behält. Sicher ist es nur der übliche Unsinn, der in jungen Jahren noch wie der Weltuntergang erscheint. Womöglich teilt Oberleutnant Malthus ihre hohe Meinung über Monsieur Klopstocks Verse nicht, oder er hat einem Gassenköter voller Flöhe einen Tritt gegeben und erscheint ihrer zarten Seele nun nicht mehr als edler Held, sondern als roher Mensch. Sie ist ein kluges Mädchen, aber mir scheint, Monsieur Lehnert hat seine Tochter ein bisschen zu wenig mit der wirklichen Welt bekannt gemacht.»
    Als Fennas Vater im vergangenen Herbst fragte, ob seine Tochter für die Zeit seiner Reise nach Ostindien bei den Herrmanns’ leben könne und Claes die Pflichten des Vormunds annehme, hatten auch Anne und Augusta gleich zugestimmt. Sie kannten Fenna nur flüchtig, doch seit Sophie, die einzige Tochter Claes Herrmanns’ aus seiner ersten Ehe, nicht mehr im Haus lebte und seit Christian, der älteste Sohn, seine lange Reise nach Italien und Frankreich angetreten hatte, war es viel zu still in dem großen Haus am Neuen Wandrahm. Nur der Jüngste war noch da, Niklas, und von dem war wenig zu sehen oder zu hören. Er war ein fleißiger Schüler, und seine wenigen freien Stunden verbrachte er mit Vorliebe in den Bibliotheken, wo er zur Sorge seines Vaters die dem Handel förderliche Literatur ignorierte und sich in Werke über exotische Käfer, griechische Baukunst oder anakreontische Poesie vertiefte.
    So bezog Fenna die beiden Räume, die immer noch ‹Sophies Zimmer› genannt wurden. Sie hatte ihre Gastfamilie nicht enttäuscht, sie war ein fröhliches Geschöpf, auf angenehme Weise neugierig und eine unterhaltsame Gesprächspartnerin. Seit ihrem Einzug im vergangenen Novemberwehte ein frischer heiterer Wind durch das alte Haus. Bis zu Beginn der vergangenen Woche. Plötzlich schien sie blass, sprach nur noch, wenn sie gefragt wurde, und das Lachen war selbst aus ihren Augen verschwunden.
    «Ich habe versucht, mit ihr zu reden», sagte Anne. «Sie antwortet immer nur nein, danke, ja, es gehe ihr gut. Man muss sie nur ansehen, um zu wissen, dass das nicht stimmt. Glaubst du, sie leidet an Melancholie, Augusta? Es heißt, ihre Mutter sei daran so jung gestorben.»
    «Unsinn. Was heißt schon ‹es heißt›? Das hast du von unserer lieben Madame Matthew gehört, stimmt’s? Agnes hat immer solche Räuberpistolen parat. Sie ist so kapriziös wie klatschsüchtig! Mit solchen Geschichten soll sie ihren Mops unterhalten. Weiß der Himmel, wie John sie aushält. Er ist ein so diskreter Mann.»
    Anne hielt es für unangebracht, zu erwähnen, dass es gerade John Matthew gewesen war, ein schon lange in Hamburg lebender englischer Kaufmann und Freund des Hauses, der ihr diese Neuigkeit beim letzten Sommerkonzert im Saal am Valentinskamp zugeflüstert hatte. In einem Moment, in dem Fenna besonders vergnügt lachte, hatte er gesagt, wie schön es sei, dass Mademoiselle Lehnert vom Leiden ihrer Mutter, das sich doch gern von Generation zu Generation vererbe, offensichtlich verschont geblieben sei, ein bei einer bevorstehenden Verlobung nicht zu unterschätzender Faktor.
    «Sollten wir doch mit ihrem Zerberus sprechen?», schlug Augusta vor. «Mamsell Thea kennt Fenna wie niemand

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