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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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den Tauen zerren, warf um, was in seiner Bahn stand. Nur um wenige Zoll verfehlte ein durch die Luft fliegendes Brett den Kopf eines jungen Soldaten, der tapfer auf seinem Posten auf der Bastion Albertus ausharrte.
    Der Sturm war in Eile, er verrichtete sein Werk rasch. Ihm folgte sein Bruder, der Regen. Der fiel einem Sturzbach gleich über die Stadt her, prasselte auf die Dächer, durchnässte das Heu und die Vorräte auf den Böden, drang durch die Ritzen in Holz und Mauerwerk, zerschlug in den Gärten, was der Sturm von der letzten Blütenpracht unbeachtet gelassen hatte, verwandelte Gassen, Straßen und Höfe im Handumdrehen in Bäche und Tümpel.
    Schnell trieb er weiter nach Osten über die Marsch, wo der Sturm Bäume und Hecken umgeworfen hatte, deren Wurzeln selbst der Flut widerstanden hatten, wo er die Haufen von Unrat und verdorbenem Holz auseinander gewirbelt hatte, als seien sie nie in mühsamer Arbeit aufgeschichtet worden. Das hatte ihm genügt. Die Häuser und Katen, Hütten und Ställe, die die Flut, wenn auch oft nur in Resten, übrig gelassen hatte, nahmen wenig neuen Schaden.
    Die Juliflut hatte kein Menschenleben gekostet, der Sturm nahm eines. Als der Morgen graute, wurde beim Marstall des Rats nahe dem Alstertor ein Toter gefunden, ein Laternenträger, der offenbar zu lange auf späte Kundschaft gewartet hatte. Vielleicht, auch das wurde vermutet, war er bei der Warterei eingeschlafen und vom Sturm überrascht worden. Vielleicht hatte er in den Ställen Schutz suchen wollen und war just in dem Moment unter der alten Eiche hindurchgelaufen, als einer ihrer Äste brach, nicht mal ein wirklich dicker, doch schwer genug, ihn zu erschlagen.
    Am Morgen zeigte sich der Himmel klar und strahlend und die Stadt frisch gewaschen, was nach den vergangenen staubigen Wochen durchaus von Vorteil war. Auch roch sie frisch, was von noch größerem Vorteil war. Wer kein Dach zu prüfen, keinen Fensterrahmen oder Verschlag zu reparieren, keine davongewehten Habseligkeiten zu suchen,kein Bettzeug zu trocknen hatte, räumte abgebrochenes Geäst und herbeigewehten Unrat von den Plätzen, Höfen und Straßen, fischte noch Verwendbares aus den Fleeten, half im Hafen und in den Höfen der Speicher Durcheinandergewirbeltes zu sortieren und neu zu stapeln. Bei der Stadtwaage hatte der Sturm eine Linde entwurzelt, die Männer, die für die Reinlichkeit der Gassen zuständig waren, holten Sägen und Äxte und zerteilten den Baum zu handlichen Klötzen. Feuerholz für das Waisenhaus, so hatte der Rat in aller Frühe beschlossen, was nur den Prediger vom St.-Hiob-Spital verdross, denn er fand, das Holz stehe dessen Bewohnern zu. Sonst herrschte, wie es nach einer glimpflich überstandenen Bedrohung häufig ist, eine heiter gestimmte Geschäftigkeit.
    Benni, ein Junge mit einem für sein Alter von etwa fünfzehn Jahren erstaunlich sanftem Gemüt, blieb bei den Männern mit den Äxten stehen und sah sich nach seiner Begleiterin um. Mamsell Thea schien es nicht besonders eilig zu haben. Das wunderte ihn, denn als er mit dem Karren im Hof auf sie gewartet hatte, hatte er gehört, wie sie Madame Herrmanns kühl erklärte, sie habe keine Zeit für diesen Auftrag, auch sei sie einzig Mademoiselle Fennas Zofe, derlei Botengänge gehörten nicht zu ihrem Dienst. Gleich darauf trat sie in den Hof. Niemand konnte Madame Herrmanns lange widerstehen. Benni wunderte nur, dass Thea, die doch schon seit einem guten Dreivierteljahr mit Mademoiselle Lehnert im Haus am Neuen Wandrahm lebte, es überhaupt versucht hatte.
    Madame Herrmanns gab ihre Befehle stets mit Freundlichkeit, wenn trotzdem jemand murrte, bekam ihre Stimme, ganz ohne lauter oder gröber zu werden, diese Entschiedenheit, die umgehend überzeugte. Aber das war selten nötig. Wenn man das Leben im Haus der Herrmanns’auch nicht alle Tage als harmonisch bezeichnen konnte, dazu waren die Temperamente seiner Bewohner zu ausgeprägt, verlief es zumindest für die Dienstboten zumeist reibungslos. Auch Thea hatte sich eingefügt. Und Mademoiselle Fenna, deren Anblick Benni stets wünschen ließ, er könne so liebliche Verse erdenken wie Monsieur Klopstock, sowieso. Nichts tat der Pferdejunge lieber, als für sie die kleine Kutsche anzuspannen oder, wenn das Wetter ruhig und trocken war, ihre zierliche schwarze Stute für einen Ausritt zu satteln.
    «Es ist nicht weit», erklärte er, als Thea die Schiffe und das lärmende Treiben im Hafen und auf den Kajen lange genug betrachtet

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