Der Tote im Eiskeller
er, «ein Haus, in dem Zivilisten den Umgang mit der Waffe üben, wenn es nicht gerade zu ausschweifenden Festen missbraucht wird, ist einzig Sache des Rats und der Bürgerschaft.»
«Sache des Rats, zweifellos.» Der Weddemeister fühlte, wie sein Nacken sich versteifte. Er hätte gerne etwas ganz und gar Unpassendes gesagt. Wagner war ein unscheinbarer stiller Mann. Er wusste das, und es störte ihn selten. Unterschätzt zu werden geriet ihm bei seiner Arbeit oft zum Vorteil. Dass der Generalmajor ein paar verregneten Rosenstöcken mehr Bedeutung zumaß als dem Diebstahl von Munition und Waffen, dass er es in einer so wichtigen Angelegenheit nicht für nötig erachtete, ihm richtig zuzuhören und ihn behandelte wie einen Lakaien, empörte ihn trotzdem. Die herablassend feixenden Gesichter der beiden Offiziere und des Gemeinen, die als Begleiter des Kommandanten auf der anderen Seite des Rondells standen, milderten seine Empörung nicht.
Doch offene Rebellion lag nicht in seiner Natur. Er schluckte seinen Zorn hinunter. «Ich bin nicht wegen des Drillhauses hier», erklärte er. «Ich möchte nur wissen, obauch in Euren Arsenalen eingebrochen worden ist. Die Sicherheit der Stadt erfordert größte Umsicht. Wenn Waffen gestohlen werden, umso mehr. Ihr werdet die Güte haben zu verstehen …»
Der Generalmajor hob unwillig die Brauen, allerdings galt das nicht Wagners nur wenig ehrerbietiger Sprache und der an Unhöflichkeit grenzenden Beharrlichkeit, die ihn an den übellaunigen Terrier seiner Frau erinnerte, sondern aufgeregten Stimmen auf der Wallstraße hinter den Ulmen. Vier Soldaten kamen im Laufschritt näher. Wagner glaubte einen Korporal, einen Serganten und zwei Gemeine zu erkennen. Es gelang ihm selten, die Dienstgrade auf den ersten Blick auseinander zu halten. Die Gegenwart ihres obersten Vorgesetzten, den sie um diese Stunde keinesfalls auf dem Wall erwarteten, ließ sie augenblicklich verstummen und Haltung annehmen. Der Sergant machte Meldung, die Herablassung in den Gesichtern der Offiziere schwand, und Wagner grinste triumphierend. Ins Drillhaus der Bürger war im Schutz einer Sturmnacht eingebrochen worden, das war fatal. Wenn sich aber am hellen Tag Diebe unbemerkt in ein von der Garnison bewachtes Areal einschleichen konnten, war das eine üble, die Sicherheit der Stadt erheblich stärker gefährdende Schlamperei.
Bevor sein Adjutant ihn daran erinnern konnte, dass der Ort des blamablen Einbruchs gar kein Pulverlager mehr war, eilte der Kommandant schon mit so langen Schritten, wie es seine Gicht erlaubte, durch die Ulmenallee und den Wall hinab zum Eingang der Mine zwischen den Bastionen Eberhardus und Joachimus, gefolgt von sieben Männern in roten Röcken und einem im schmucklosen blauen. Schon am Eingang der Mine hörten sie dumpfe Schläge gegen Holz. Als der Sergeant in der Mitte des Ganges die obere Tür zum Keller öffnete, wurden sie lauter und von einemSchwall äußerst unfeiner Flüche verstärkt, die eindeutig mit weiblicher Stimme ausgestoßen wurden.
Von Eberstädt blieb wie angewurzelt stehen, und wie es sich nach soldatischem Reglement gehörte, folgten die übrigen Rotröcke seinem Beispiel. Wagner überraschten weibliche Diebe so wenig wie derbe Flüche aus weiblichem Mund. Bevor der Kommandant seine Befehle geben und seine gehorsam wartenden Männer in Bewegung setzen konnte, tastete er sich die Stiege in das Dunkel hinab. Er hob den Balken von der Tür, zog sie auf, und zwei bleiche Gestalten stolperten ihm entgegen.
Wagner kannte sich mit Dieben jeder Art aus, selbst mit solchen in seidenen Kniehosen und Brokatröcken. Eine, die in ihrem strengen Kleid und der schlichten Haube einer Gouvernante glich, hatte er jedoch noch nie auf frischer Tat ertappt, und dass ihr Komplize ausgerechnet der Herrmanns’sche Pferdejunge war, machte seine Verblüffung nicht geringer.
«Wie wäre Mokkaeis mit einem tüchtigen Schuss Rosmarinbranntwein? Der ist bekömmlich und sorgt für launige Stimmung.» Augusta Kjellerup schubste eines ihrer silberweißen Löckchen aus der Stirn und sah ihr Gegenüber auffordernd an. «Ich sehe schon, Anne, das trifft nicht deinen Geschmack», stellte sie heiter fest. «Es ist nur ein Vorschlag. Mal etwas anderes als Mandel- oder Zitroneneis wäre doch nett. Die Erdbeerzeit ist ja leider vorbei, und Pflaumen schmecken im Eis belanglos. Glaube mir, ein Schlückchen von meinem Wunderelixier hat noch niemandem geschadet, es tut von Zeit zu Zeit
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