Der Tote im Eiskeller
ich kenne den Weg doch nicht.»
«Immer nur geradeaus», erklärte Benni achselzuckend, «der Gang ist auch nicht ganz dunkel, vom anderen Ende sieht man Licht.»
Der Gang, militärisch Mine genannt, war ein wenig abschüssig und nicht lang, er roch feucht und muffig. Etwa in seiner Mitte blieb Benni vor einer Tür aus schweren, vom Alter fast schwarzen Bohlen stehen, er nahm zwei Steine aus dem Karren und sicherte die Räder.
«Ist die Tür nicht abgeschlossen?» Thea wies auf das große Schlüsselloch in seinem rostigen Beschlag.
«Als noch Pulver und Kugeln drin lagen, sicher, aber jetzt nicht mehr. Warum auch? Vor dem Eingang zur Mine steht ja immer ein Musketier. Der hat ein Gewehr und lässt keinen ohne Uniform oder Passierschein durch.»
«Wie man gerade gesehen hat!»
Das fand Benni keiner Antwort wert. Die Tür wurdevon einem Balken in eisernen Haken gegen ihren Rahmen gedrückt, damit sie möglichst dicht schloss. Heute lehnte der Balken an der Mauer. Die Tür hing leicht geneigt in den Angeln, ihr Gewicht drückte sie auch ohne den Balken in den Rahmen. Er zog sie auf und tastete sich, Eishaken, Beil und Säge in den Händen, die steile Treppe hinab. Thea folgte ihm mit der Laterne, zögernd und fröstelnd, als steige sie in eine Gruft. Die Luft war nun noch kälter und feuchter. Das Mauerwerk von Wänden und Decke des engen Ganges sah moosig und wenig vertrauenerweckend aus, die Tür hingegen, die am Ende der Stiege den eigentlichen Keller sicherte, schien stabil und noch nicht sehr alt. Sie war wie die obere mit einem quer liegenden Balken gesichert, der Rahmen durch mit Pech bestrichenem Stroh unter einer Lederhaut akkurat abgedichtet, damit möglichst wenig Kälte entwich und möglichst wenig warme Luft eindrang.
Der Balken ließ sich leicht herausheben. Sie stellte die Lampe auf den Boden und half Benni, die Tür an ihren schmiedeeisernen Griffen aufzuziehen. Niemand hielt sich in diesem Loch gerne länger als unbedingt nötig auf. Die Tür öffnete sich leichter und leiser als die obere, ihre Angeln waren gegen die Feuchtigkeit gut gefettet. Eisige Kälte schlug ihnen entgegen, bei einem Eiskeller kaum verwunderlich, dennoch traf es sie beide wie ein Hieb.
Thea hielt die Lampe so hoch, wie es die niedrige Decke erlaubte. Wie der Gang war auch der Raum ausgemauert, jedenfalls soviel man erkennen konnte; bis auf einen drei, höchstens vier Fuß schmalen Streifen vor der Tür und der vorderen Mauer war er fast bis zur Decke gänzlich von unter einer dicken Strohschicht liegendem Eis gefüllt. In einer Ecke lag, von Reif überkrustet, eine verbeulte kleine Laterne.
«Verdammt», murmelte Benni. Er holte nicht zum ersten Mal Eis aus diesem Keller, aber er hatte es noch nie getan, so kurz nachdem er frisch gefüllt und das Eis noch hart wie auf Grönland war. Auch noch nie ohne Brooks, den Kutscher und Helfer bei allem, was im Herrmanns’schen Haus harte Muskeln erforderte.
«Es wird ein bisschen dauern, bis ich genug Eis gelöst habe», erklärte er. «Ich muss die Säge nehmen, damit die Brocken groß genug bleiben. Wenn ich zu viel hacke, werden sie zu klein und schmelzen schnell. Wenn Ihr friert», schlug er halbherzig vor, «könnt Ihr oben warten.»
«Dazu bin ich nicht mitgekommen. Wer soll dir die Lampe halten und helfen, die Eisklötze hochzutragen? Fang an und beeil dich. Dort», sie hielt die Lampe zur Seite und zeigte auf die linke Wand, «scheint noch ein kleinerer Stapel zu sein, der sägt sich sicher leichter als diese undurchdringliche Masse. Am besten versuchst du es dort zuerst.»
Sie beugte sich über den Stapel und begann das Stroh beiseite zu schieben. Plötzlich hörte Benni, der gerade den Lumpen von der scharfzahnigen Säge wickelte, einen seltsam kehligen Laut und sah erstaunt auf.
«Da», flüsterte sie, «da. So schau doch.»
Benni beugte sich vor, was er im Schein der Laterne sah, war kein Eis. Aus dem Stroh ragte ein Kopf, die weiße Perücke in bizarrer Struppigkeit gefroren, das Gesicht starr und von gleicher Farblosigkeit, nur die bereiften Brauen über den geschlossenen Augen schimmerten dunkel unter den puderigen Eiskristallen und ließen es wie eine Theatermaske erscheinen. Aber es war keine Maske, es war das Gesicht eines Mannes, der vergeblich versucht hatte, sich unter dem Stroh vor der Kälte des Eises zu schützen. Und es gab keinen Zweifel, der Mann war tot.
Thea stand starr, als sei sie selbst aus Eis, die Lampeimmer noch erhoben, und murmelte
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