Der Tote im Eiskeller
«Selbst falls Ihr Recht habt, was ich, nun ja, nichtglaube, wäre ich Euch verbunden, zu erfahren, wann Oberleutnant Malthus gestern Abend Euer Haus verlassen hat. Und mit welchen Plänen.»
«Das kann ich Euch nicht sagen. Selbst wenn ich wollte, was im Augenblick nicht der Fall ist. Ich muss mich nun um andere Dinge kümmern.» Seine Stimme klang schneidend, und Wagner versuchte, sich nicht doch wie eine Maus zu fühlen. «Nun gut, wenn es Euch hilft. Mein Bruder wohnte in unserem Haus, das stimmt, er zog es aber trotz des kalten feuchten Sommers vor, im Pavillon in dem kleinen Lustgarten hinter dem Haus zu schlafen. Von dort führt ein schmaler Gang auf die Straße, er konnte also kommen und gehen, wie er wollte, ohne dass es jemand sah oder hörte. Über die Vergnügungen an seinen dienstfreien Abenden hat er mir keine Auskunft gegeben. Danach fragt Ihr besser die anderen Offiziere seiner Kompanie, er hatte sonst keine Freunde in der Stadt. Ich kann mir nicht vorstellen, warum er in einer solchen Sturmnacht hinausgegangen sein sollte. Alle, die in unserem Haus leben, waren, nachdem wir in den Gärten getan hatten, was möglich war, zu Hause. So wie ich.»
«Wart Ihr nicht in Sorge, Eurem Bruder könnte bei dem Unwetter in dem Pavillon etwas zustoßen? Ein kleines Gartenhaus ist gewöhnlich nicht sehr stabil.»
«Ich war oft um ihn in Sorge», murmelte Elias Malthus. Er fuhr sich übers Haar und erklärte laut: «Nein, gestern war ich nicht in Sorge. Der Pavillon ist klein, das stimmt, aber er ist sehr stabil. Im Übrigen ist – war Viktor ein erwachsener Mann. Wenn er sich unsicher gefühlt hätte, wäre er ins Haus gekommen. Mehr kann ich Euch nicht sagen, Weddemeister. Und nun: Wo ist der Leichnam meines Bruders?»
Wagner schluckte. Was jetzt kam, war fast so schlimmwie das Überbringen der Todesnachricht. «Im Anatomischen Theater im Eimbeck’schen Haus. Leider. Jeder, der auf unnatürliche Weise gestorben ist, wird zunächst dort hingebracht und untersucht. Das ist Vorschrift. Wie Ihr sicher wisst.»
Elias Malthus sah für einen Moment starr durch Wagner hindurch, dann nickte er knapp und ging zur Tür. Er öffnete sie weit und blickte Wagner auffordernd an.
«Gewiss. Sofort. Nur eines noch. Wer ist die Braut Eures Bruders?»
«Mademoiselle Lehnert. Sie lebt erst seit dem letzten November in der Stadt, als Gast bei Monsieur Herrmanns am Neuen Wandrahm. Ich wäre Euch äußerst verbunden, wenn Ihr Mademoiselle Lehnert mit Eurem Besuch verschontet, bis ich Gelegenheit hatte, ihr die Nachricht zu bringen. So etwas sollte in der Familie bleiben. Oder seid Ihr anderer Ansicht?»
Wagner schwieg. Er fand es überflüssig, einem Mann, der die Fähigkeiten der Wedde und der nächtlichen Wachen so rüde infrage stellte, einen unangenehmen Weg zu ersparen. Dass es ausgerechnet Mademoiselle Lehnerts Zofe gewesen war, die den Toten gefunden und die Nachricht vom so unvermittelten Ende des Brautstandes zweifellos längst überbracht hatte, würde er früh genug erfahren.
«Zu Eurer Frage, mit wem Viktor im Streit lag, Weddemeister», sagte Elias Malthus, als Wagner schon vor der Tür stand und überlegte, wie er durch das Labyrinth der Gartenwege am schnellsten zurück zum Gänsemarkt fände, «dazu werdet Ihr zweifellos bald meinen Namen hören. Aber das ist nicht wahr. Wir hatten in vielen Dingen unterschiedliche Ansichten, schon seit wir Kinder waren, aber ich lag nicht mit ihm im Streit. Wir haben uns immer geeinigt, früher und auch heute, ich meine, seit er wiederzurück war. Das wäre auch in Zukunft so gewesen. Und nun muss ich meinen Bruder aus diesem schändlichen Seziersaal nach Hause holen.»
Damit zog er heftig die Tür ins Schloss und ließ Wagner mit der Erkenntnis stehen, dass er eine wichtige Frage vergessen und doch darauf Antwort bekommen hatte.
Als er durch den Garten zurück zur Pforte stapfte, ratterte es in seinem Kopf wie in einem zu eiligen Uhrwerk. Dass Mademoiselle Lehnert bei den Herrmanns’ lebte, machte die Sache leichter. Er kannte die Herrmanns’ besser, als es einem einfachen Weddemeister anstand, was nur daran lag, dass Claes Herrmanns eine nicht immer hilfreiche Neigung hatte, sich in seine Arbeit einzumischen, und Madame Herrmanns und Madame Kjellerup, seine Tante, standen ihm darin nicht nach. In diesem Fall allerdings würde es die Befragung der jungen Dame erheblich erleichtern, wenn auch – Wagner zupfte die Frucht einer Berberitze von ihrem stacheligen Zweig und
Weitere Kostenlose Bücher