Der Tote im Eiskeller
gut», rief Rosina applaudierend. «Wirklichein fabelhafter Donner, Rudolf, viel dramatischer als in der Natur. Wenn du es dazu tüchtig blitzen lässt, wird das Publikum das Ganze für ein echtes Unwetter halten.»
«Solange die Leute nicht vor Schreck aus dem Theater laufen, ist es mir recht», sagte Rudolf. «Die längere Kiste macht guten Effekt, und mit den Steinen haben wir Glück gehabt. Ich hätte nicht gedacht, dass wir hier am Ufer solche finden, sie sind hart, fest und gerundet, genau wie sie für eine gute Donnermaschine sein müssen. Muto hat schnell gelernt, wie er die Holzkiste bewegen muss, damit die Steine richtig rollen und poltern. Genau in der passenden Geschwindigkeit.»
Ein bescheidenes Lächeln zeigte seine Freude über Rosinas Lob. Dass er es umgehend an Muto weitergab, den stummen Jungen und besten Akrobaten der Gesellschaft, der hinter der Bühne die neue Donnermaschine bedient hatte, war nichts Besonderes für ihn. Rudolf schmückte sich nie mit fremden Federn und nahm auch selten die in Anspruch, die ihm zustanden. Für sich selbst empfand er Rosinas Beifall als überflüssiges Lob. Als Kulissenmaler, Bau- und Bühnenmeister der Becker’schen Komödiantengesellschaft war die Einrichtung der Donnermaschine eine der leichten Aufgaben. Der Bau eines Flugwerks, stark und leichtgängig genug, um einen erwachsenen Menschen als Engel, Gott oder Satan über die Bühne sausen zu lassen, die Inszenierung von Lichteffekten und erst recht von Feuerwerken, ohne dass dabei das ganze Theater in Brand geriet, erforderten mehr Können und Raffinesse.
«Gut gemacht, Muto», rief er dem rothaarigen Jungen zu, der mit fragendem Blick aus den Kulissen auf die Bühne trat. «Wenn Rosina zufrieden ist, sind’s die andern auch.»
Muto machte einen Kratzfuß, tippte sich dankend an die Stirn und sprang mit der Leichtigkeit des Akrobatenvon der Bühne. Er reiste schon fast so lange mit der Gesellschaft wie Rosina. Und wie Rosina hatten sie ihn auf einer Straße im Sächsischen aufgelesen. Seine Kleider waren nur Lumpen gewesen, sein dünner kleiner Körper geschunden. Das war etwa acht Jahre her, und in all der Zeit hatte er kein Wort gesprochen. Dr. Struensee hatte gefunden, Muto sei sehr wohl in der Lage zu sprechen, es gelte nur herauszufinden, warum er es verweigere, welcher Schock ihn so beharrlich schweigen lasse. Monsieur Heinicke, der als Lehrer im nahen Eppendorf sogar taubstumme Kinder unterrichtete, war der gleichen Meinung. Bisher war es niemandem gelungen, Muto sein Geheimnis zu entlocken.
«Hier oben klingt es schön gruselig», rief eine helle Stimme von der Galerie über der Eingangstür, begleitet vom Triller auf einer Querflöte.
Rudolf nickte, doch sein Lächeln verschwand. Die Stimme gehörte seiner Tochter Manon, die Querflöte, Rosinas kostbares silbernes Instrument, lag an den Lippen seines Sohnes, Fritz.
«Passt auf dort oben», rief er. «Solange das Geländer noch nicht erneuert ist, solltet ihr euch einen weniger gefährlichen Platz zum Textlernen suchen. Im Zimmer hinter der Bühne ist es nicht so stickig wie direkt unter dem Dach, und dort seid ihr ungestört.»
Rudolf war ein sanfter Mensch. Selbst in Momenten wie diesem gelang es ihm nicht, seine Kinder mit strengem Befehl von der Galerie zu scheuchen. Gesine, bescheiden, unauffällig, aber von erstaunlicher Durchsetzungskraft, hatte damit kein Problem. Auch wenn ihre Kinder mit ihren siebzehn und sechzehn Jahren keine Kinder mehr waren, ein strenger Blick und der feste Ton ihrer Stimme verfehlten selten ihre Wirkung. Aber Gesine durchstöberteirgendwo in der Stadt die Restekörbe der Tuch- und Putzwarenhändler nach neuem Material für die Kostüme.
«Da sind immer noch Mäuse», rief Manon und hielt ihren Bruder fest, der gehorsam aufstehen und die Treppe hinuntersteigen wollte, «und vom Efeu kriechen mehr Spinnen herein, als Körner in einem Sack Hafer sind. Wie soll man dort lernen?»
«Lass die beiden doch, Rudolf», murmelte Rosina, damit ihre Stimme nicht bis auf die Galerie zu hören war. «Sie sind gute Tänzer und beherrschen ihre Körper. Sie werden schon nicht fallen.»
Anders als Rudolf, der fast zwanzig Jahre älter war als sie, erinnerte sie sich daran, was Ermahnungen solcher Art bewirkten, wenn man siebzehn war.
Das Geländer der Galerie hätte längst erneuert sein sollen, aber das Hamburger Gastspiel ließ sich in diesem Herbst schlecht an. Der Schreiber im Rathaus weigerte sich, seinen Stempel
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