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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Gestalt kam mit undamenhaft langen Schritten und wehendem schilfgrünem Rock rasch näher, und Rosina war vom Sehnen und vom Nichtstun erlöst.
    «So ein Glück», rief Anne Herrmanns, noch fünfzehn Schritte entfernt. «Hast du ein bisschen Zeit für mich, Rosina? Ich möchte dich etwas fragen. Genau genommen: um etwas bitten.»
    «Guten Morgen, verehrte Madame Herrmanns», spottete Rosina. «Hoffentlich hat dich keine der Damen aus deinem Kränzchen so durch die Stadt rennen sehen.»
    «Doch», sagte Anne fröhlich, «mindestens drei. Macht nichts, inzwischen sind sie daran gewöhnt. Madame Bocholt hat mich neulich sogar gefragt, ob ich tatsächlich im Herrensattel reite, sie habe so etwas gehört. Als ich entschieden verneinte – mit einem sehr indignierten Gesicht   –, war sie sichtlich enttäuscht. Du merkst, ich kann mir fast alleserlauben. Im Gegensatz zu dir. Du siehst übrigens müde aus, Rosina, hast du schlecht geschlafen?»
    «Das scheint in der hellen Sonne nur so. Lass uns in den Garten auf der Bastion gehen, Anne, dort sind wir jetzt sicher ungestört. Es sind nur ein paar Schritte.»
    Anne drehte sich zum Befestigungswall um, der keine fünfzig Schritte entfernt anstieg, und schluckte. «Auf Eberhardus?», fragte sie. Der Eingang zur Mine, die zwischen den Bastionen Eberhardus und Joachimus zum Eiskeller führte, war vom Platz vor dem Dragonerstall nicht zu sehen, aber sie spürte nicht die geringste Lust, ihm näher als nötig zu kommen. «Lass uns hier bleiben», schlug sie vor. «Du wirst gleich verstehen, warum. Offenbar hast du die Neuigkeiten noch nicht gehört.»
    «Du meinst den Toten im Wall?» Rosina zuckte die Achseln. Wer im Haus der Krögerin lebte, entkam keiner Neuigkeit. Der Tod des Soldaten, dem nun schon vierten Opfer in der Reihe der seltsamen Überfälle, hatte auch unter den Komödianten für Aufregung gesorgt. Rosina hatte er wenig berührt. Wer Jahr um Jahr auf den Straßen unterwegs ist, von einer Stadt zur anderen zieht, sich an zahllosen Stadttoren und Zollschranken kontrollieren und oft genug als Gesindel behandeln lassen muss, hat selten großes Mitgefühl mit Fremden in Uniformen. «Natürlich haben wir davon gehört. Der Tote wurde doch nicht im Bastionsgarten gefunden, sondern in einem Eiskeller im Wall.»
    «Das stimmt. Und der ist mir heute viel zu nah an diesem Garten. Verzeih, wenn ich zimperlich erscheine, zum einen handelt es sich um unseren Eiskeller – wir haben ihn von der Garnison für unser Eis gemietet   –, zum anderen, und das ist erheblicher, kannten wir den Toten gut. Du wirst dich an Fenna erinnern, Mademoiselle Lehnert, du hast sie gesehen, als du mich in der letzten Woche besuchthast. Der Tote war Viktor Malthus, der Mann, den sie heiraten wollte. Er ist nicht nur tot, Rosina, er wurde ermordet. Das macht ein tragisches Ereignis zum wahrhaft schrecklichen, und deshalb mag ich mich nicht in der Nähe dieses vermaledeiten Kellers gemütlich in einen sonnigen Garten setzen. Ich fürchte, ich werde nie wieder Eis essen können.»
    Rosina lachte leise. «Dass dir diese Sorge einfällt, tröstet mich. Es zeigt, dass dein Schmerz nicht ganz so groß ist, wie der Mademoiselle Lehnerts sein muss.»
    «Spotte nur. Ich bin wirklich tief betrübt, allerdings, das muss ich zugeben, mehr für Fenna. Ich habe sie sehr gern. Wir alle haben sie gern und ihr nichts gewünscht, als glücklich zu werden. Vor allem aber bin ich erschrocken.»
    Eine glänzende schwarze Kutsche rollte vorbei, und Rosina erkannte hinter dem Fenster das Gesicht von Madame Matthew. Spätestens zum Toresschluss wäre es in allen Salons bekannt, Madame Herrmanns pflege wieder einmal ihre unpassende Freundschaft zu einer Wanderkomödiantin.
    Es war noch nicht vergessen, dass die Becker’schen Komödianten Anne Herrmanns, die damals noch Anne Roberts hieß, vor einem gewaltsamen Tod bewahrt hatten. Doch das war etliche Jahre her, und solche Dienste sollten mit barer Münze entlohnt werden. Freundschaft war das falsche Mittel. Und das vertrauliche Du, das selbst unter Ehegatten nicht immer das Übliche war, konnte einzig mit Madame Herrmanns’ englischer Geburt erklärt werden, mit der Sprache ihrer Heimat, die in diesem Punkt weniger Unterschiede machte als die deutsche.
    Auch war bekannt, dass Mademoiselle Rosina nicht wie die meisten Fahrenden auf dem Karren geboren war, sondern aus vornehmem Haus stammte. Was allenfalls dieMöglichkeit einer solchen Freundschaft erklärte, die

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