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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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gewesen und habe Fenna in falschen Plänen für ihre Zukunft bestärkt, beunruhigte Anne tief. Jetzt hätte sie nichts gegen ein Schlückchen von Augustas Rosmarinbranntwein gehabt. Sie rutschte tiefer in den wärmenden Samt und beschloss, nicht zu warten, bis der Weddemeister das Rätsel löste. Sie mochte Wagner, sie wusste auch, dass hinter seiner oft dümmlich erscheinenden Behäbigkeit zu gleichen Teilen Schüchternheit und schlaue Maskerade steckten. Trotzdem würde er auch in diesem Fall vor lauter Gründlichkeit ihre Geduld über die Maßen strapazieren. Sie wusste schon, wer ihre Ungeduld stets teilte und ihr helfen würde, in die Geheimnisse der Stadt einzutauchen. Und – ganz nebenbei – das Gleichmaß ihrer Tage als ehrbare Gattin äußerst belebend zu unterbrechen. Dieser Gedanke wiederum gefiel ihr so gut, dass ihr die bedrohlichen Schatten der Nacht plötzlich nur noch geheimnisvoll und wundersam erschienen.
    Eine Diele knarrte, und sie fühlte eine warme Hand auf ihrer Schulter. «Mach dir nicht so viele Sorgen», sagteClaes leise, «Fenna hat eine starke Seele. Sie wird es überstehen und sich wieder verlieben. Wenn wir es vernünftig betrachten, können wir froh sein, weil es jetzt passiert ist. Nach der Hochzeit wäre es eine erheblich größere Tragödie gewesen. Eine Witwe, selbst eine so junge und wohlhabende, findet viel schwerer einen neuen Mann als eine ehemalige Braut.»
    Sie griff nach seiner Hand, verschränkte ihre kalten Finger mit seinen warmen, spürte die vertraute Nähe seines Körpers und sah zu ihm auf, in sein schläfriges Gesicht mit dem liebevollen Blick. Sie ärgerte sich oft über seine spröde, so schrecklich vernünftige Art, die Dinge zu sehen, stets Gewinn und Nutzen gegen Verlust abzuwägen. Aber manchmal, besonders in dunklen Nächten wie dieser, konnte sein kaufmännischer Pragmatismus tröstlich sein.
    «Komm, Liebste», flüsterte er und ließ seine Fingerspitzen zart über ihren Nacken gleiten, «die Nacht ist kalt, lass mich dich wärmen.»
     
    Nicht lange nach Sonnenaufgang wurden die Bewohner der Häuser um den Armenfriedhof von gellendem Geschrei aufgeschreckt. Alles was Beine hatte rannte an die Fenster oder hinaus an die bröckelnde Mauer, hoffend, die Ödnis der Tage in Arbeit und Sorge durch ein veritables Unglück beleben zu können. Doch in der Mitte des Gottesackers stand nur eine dünne, vom Alter gebeugte Frau, das schwarze Tuch, in das sie sich gegen die Kälte des Morgens gehüllt hatte, mit beiden Fäusten gegen den Mund gedrückt. Zwei Totengräber standen neben ihr und starrten wie sie in das Grab, in dem schon etliche Tote ruhten und das nun auch den Leichnam aufnehmen sollte, der in grobes Sackleinen gehüllt auf der Karre lag und nicht mehr beachtet wurde. Auf den Brettern, die die Toten vor denHunden schützten und die nun aufgestapelt neben dem Grab lagen, hockte ein blasses Kind mit dünnem rotem Haar, wiegte sich vor und zurück und saugte heftig am Daumen seiner von der Krätze schrundigen linken Hand.
    Schnell sammelte sich eine große Schar von Menschen um die Grube, nur wer es bis in die erste Reihe schaffte, konnte sehen, was den schrillen Schrei des Entsetzens ausgelöst hatte. Drei Fuß tief, auf der Erde, die die zuletzt verscharrten Leichen bedeckte und den penetranten Geruch aus der Tiefe kaum zurückhielt, hockte eine an Händen und Füßen gefesselte Gestalt, auf ihrer Stirn leuchtete einem Kainsmal gleich ein großer blutroter Fleck. Der Mund war mit einem Knebel verschlossen, die Augen starrten so schreckgeweitet wie zornig auf die Gesichter, die sich über den Rand des Grabes beugten. Trotz der Fesseln war es Müllerjohann gelungen, sein Hemd über die eng an den Körper gepressten Beine zu ziehen. Was gut war, denn außer diesem Hemd hatte er nichts, um seinen schlotternden Körper zu bedecken.
    Wer den Schrei der Alten überhört hatte, wurde durch die Woge des Gelächters aufgescheucht, das die Stille des Friedhofes brach und vom Klang des Totenglöckchens der Gertrudkapelle begleitet wurde. Am lautesten lachten die, die erkannten, wer dort in der Grube saß. Sie lachten noch, als die Soldaten von der Wache auf den Friedhof stürmten und die Menge auseinander stob.
     
    Der Donner grollte schon zum sechsten Mal durch das kleine Theater im Dragonerstall. Erst schlich er heran, gleichsam stolpernd und aus der Ferne, wurde im Näherkommen lauter und schneller, um endlich im polterndem Getöse zu ersterben.
    «Jetzt ist es

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