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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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Marktfrauen und Straßenhändler, die von jeher am besten und schnellsten informiert waren, er liebte es auch, sein Wissen umgehend zu teilen. Anders als die meisten Wirte halbwegs manierlicher Gasthäuser hatte er nichts gegen wandernde Komödianten, jedenfalls nichts gegen die Becker’schen. Er kannte sie seit vielen Jahren, er verkaufte ihre Billetts, und mit Titus, dem Hanswurst, der ihm in seiner bärenhaften Statur in nichts nachstand, verband ihn Freundschaft. Was nur die wunderte, die nichts von Jakobsens heimlicher Sehnsucht nach dem freien Leben wussten. Als Junge hatte er von den Schiffen geträumt, von der weiten wilden Welt; trotzdem hatte er entschieden, den Schiffen nur nachzusehen und das Gasthaus zu übernehmen, als sein Vater starb. Die meisten Menschen träumten lieber von der Ferne, als sich hinauszuwagen, und Jakobsen war schon als Junge schlau genug gewesen, aus den Fabelgeschichten der Seeleute die Härte des Lebens an Bord, die Mordlust von Wasser und Sturm herauszuhören. Und nicht zuletzt war er lieber sein eigener Herr, als vor einem auf See allmächtigen Kapitän zu kuschen.
    «Später erzähle ich euch was, Helena», sagte er, «jetzt muss ich mich um die Herrschaften kümmern.»
    ‹Die Herrschaften› waren Jakobsens ganzer Stolz. Seit seinem Bestehen hatte das Gasthaus in der Neustädter Fuhlentwiete wenn auch nicht gerade die Hungerleider des Gängeviertels, so doch nur das bunte Volk der umliegendenStraßen gesehen. Seit er jedoch einige kleinere Tische in eine separate Ecke gestellt und mit Tischtüchern bedeckt hatte, die er alle vier Tage wechselte, kamen hin und wieder auch vornehmere Gäste. Zuerst nur Reisende mit dem Blick von Forschern, die sich in eine fremde Welt begeben hatten, nach und nach, seit sich die Qualität der Küche im kleinen Raum hinter dem Schanktisch herumgesprochen hatte, auch Bürger der Stadt. Manchmal sogar mit Damen.
    An diesem Abend hatten sich drei Männer an einem der Tische niedergelassen, sie tranken Wein, bestellten Suppe und Ochsenbraten, plauderten angeregt und ließen ihre Blicke immer wieder so neugierig wie prüfend durch den Raum gleiten. Sie waren weitaus besser gekleidet als alle anderen in dieser Schänke. Der älteste trug unter seinem leuchtend blauen Rock eine sandfarbene, bestickte Seidendamastweste, sein Hemd war reich mit Spitzen besetzt, die am Hals von einer glitzernden Nadel gehalten wurden. Er trug sogar eine gepuderte Perücke, deren Eleganz für diesen Ort und Anlass wirklich übertrieben war, und am kleinen Finger seiner linken Hand einen schweren Siegelring.
    «Siehst du?», flüsterte Jean, stupste Helena sanft den Ellbogen in die Seite. «Herrschaften. Ich habe es dir gesagt, die Zeiten werden immer besser.»
    «Ja, Liebster. Aber das bedeutet nicht, dass wir in besseren Häusern verkehren. Es bedeutet nur, dass diese Herrschaften auf Abenteuer aus sind.»
    «Hier?», brummte Titus. «Bei Jakobsen? Hier gibt’s doch keine Abenteuer.»
    «Es kommt darauf an.» Rosina leckte ihren Löffel ab und legte ihn neben den Teller. «Wer immer nur hinter dem Ofen oder in Jensens Kaffeehaus sitzt, für den ist schon eine kleine Prügelei ein Abenteuer.»
    «Denkst du, wir sollten eine anzetteln?» Titus ballte grimmig die kräftigen Fäuste. «Und hinterher den Hut rumgehen lassen? Mach kein erschrecktes Gesicht, Maline», er löste grinsend die Finger und spreizte sie ihr entgegen, «das war nur ein Spaß.»
    «Und ganz überflüssig.» Rosina sah zum übernächsten Tisch nicht weit von dem der ‹Herrschaften›. «Da kann es nicht mehr lange dauern, bis es ganz von selbst losgeht.» Mit zusammengekniffenen Augen versuchte sie durch den Dunst aus Tabakqualm und rauchenden Unschlittkerzen zu erkennen, wer dort saß.
    «Das ist doch nur Vandenfelde», half Titus, der ihrem Blick gefolgt war. Das Gesicht des Schlachters vom Schlachthaus an der Heiligengeistbrücke war zorngerötet, er fuchtelte mit seinem Branntweinglas herum, dass es nur so spritzte, und redete auf einen dünnen Mann ein, der ihm, nicht weniger zornig und die Fäuste auf den Tisch gestützt, halb erhoben gegenüberstand.
    «Der hat’s verdient, der Müllerjohann», brüllte Vandenfelde. «Wollt ich die Tiere beleidigen, würd ich sagen, der ist ein Schwein, eine echte Drecksau. Dem müsst noch was ganz andres passieren, und du, das sag ich hier nochmal ganz laut, damit es alle hören, du bist auch nicht besser, wenn du seinen Büttel machst. Papperlapapp, Kinder

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