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Der Tote im Eiskeller

Der Tote im Eiskeller

Titel: Der Tote im Eiskeller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Oelker
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neugierig nachsah. Sie war nicht sicher, ob wirklich ein Lächeln in seinen Augen gewesen war, als er sich umdrehte und van Meulen, dem Steuermann, zur Tür folgte.
    Sie wandte sich Maline zu, die ihr den Rücken zugewandt hatte und gerade versuchte, Jean und Helena die grandiose Idee auszureden, Schminke mit Wasserfarben zu verbessern, schon deshalb, weil die letztlich nicht billiger waren als die Schminke.
    «Siehst du den Mann dort, Maline?», fragte sie leise. «Den mit dem dunklen Bart. Hat der dich nicht vorhin aus dem Gängeviertel geführt?»
    Maline sah zu den Männern und schüttelte dann den Kopf. «Nein», sagte sie, «ich glaube nicht. Aber: Ich bin nicht sicher, ob ich ihn überhaupt wieder erkennen würde. Es war nur ein kurzer Weg, und er ist vor mir hergegangen, die meiste Zeit habe ich nur den Rücken gesehen.» Damit wandte sie sich wieder Helena und Jean zu.
    Nun warf sich der jüngere Mann, der die ganze Zeit still neben dem Harpunier gesessen hatte, blass und mit fiebrig erscheinenden Augen, seine Joppe über die Schultern. Sie war fadenscheinig und geflickt, anstelle der linken Tasche war nur ein dunklerer Fleck zu sehen. Er tat es ungeschickt, und als sie ihm zum zweiten Mal von der Schulter rutschte, erkannte Rosina, dass er nur einen Arm hatte.
    «Wer war das?», fragte sie Jakobsen, der sich inzwischen ihr gegenüber neben Titus auf die Bank gesetzt hatte.
    «Du meinst die Bleichnase? Der Kerl, der neben unserem Wasserschout saß? Das war der ehrenwerte Monsieur Schlick, Erster Schreiber bei Bocholt. Den kennst du sicher, Bocholt ist mit Herrmanns verbunden, die haben zusammen die Schulbank gedrückt, ist lange her. Ja, der Schlick. Der trinkt sonst kaum was, deshalb ist er jetzt so besoffen. Morgen wird er sich vor Scham kaum aus dem Haus trauen, so einer ist der. Ein hartes Los, wenn man sich für ein paar Schlucke Bier über den Durst gleich schämen muss. Oder gar zum Pastor rennen und Abbitte tun. Na, ist auch gut, dann klingelt mal wieder was im Gotteskasten, Hungerleider, die was brauchen, gibt es ja genug. Neuerdings stehen die sogar bei mir vor der Tür und wollen Reste. Als brauchten wir die nicht selbst für die Suppen oder den Schweinetrog. Ich fürchte, manche sind Bauern,denen bei der Flut Hof und Felder abgesoffen sind. Arme Teufel. Aber sag selbst: Was soll man tun? So ist das Leben, mal trifft es den, mal einen anderen.»
    Und letztlich habe die Flut
alle
getroffen. Nicht nur Obst- und Gemüse-, auch Kornfelder seien vernichtet worden, was schon jetzt zu einer allgemeinen Teuerung, insbesondere des Mehls, führe, und das sei in den letzten Jahren schon teuer genug geworden. Trotzdem hätten sich die Stadtleute wahrhaft mildtätig gezeigt.
    Rat und Kirchenministerium hatten den letzten Sonntag des Juli, gut zwei Wochen nach dem Beginn der verheerenden Flut, zum Buß-, Fast- und Bettag erklärt und zu besonderer Großzügigkeit bei den Kollekten aufgerufen, die an diesem Tag einzig für die Opfer bestimmt waren. Das Ergebnis von 27   340   Mark wurde allgemein als erstaunlich angesehen. So erstaunlich, dass Jakobsen die Summe noch im Kopf hatte. Auch der Englische Court und die Gemeinden der Mennoniten, der portugiesischen und der hochdeutschen Juden hatten je eine vierstellige Summe beigesteuert. Sogar auf viele Vergnügen war verzichtet worden: Theater und Konzerte blieben für eine Woche untersagt und das neue Lotto auf dem Gänsemarkt musste ohne Musik gezogen worden – all das allerdings weniger aus Mitgefühl mit den Leiden der bäuerlichen Nachbarn und Lebensmittellieferanten, sondern um dem Himmel ob dieser zweifellos strafenden Warnung Bußfertigkeit zu beweisen.
    «Klar», sagte Titus, «ihr seid enorm gute Menschen. Davon haben die meisten da draußen aber noch lange kein Dach über dem Kopf, und es soll Jahre dauern, hab ich jedenfalls gehört, bis aus der Wüste von Schlamm und Sand wieder Ackerland und Wiesen wie vor der Flut geworden sein wird. Und von dem abgesoffenen Vieh wird auch keines wieder lebendig.»
    «Und was soll der Unsinn, das Theater zu verbieten?», mischte sich Jean, der den ganzen Abend ungewohnt schweigsam gewesen war, mit gerechter Empörung ein. «Als würde unsere Kunst nicht die Seele erfreuen und, ja, nicht gottgefällig sein.»
    «Erkläre das den Pastoren», fiel ihm Rosina rasch ins Wort. «Ich habe nicht den Betrunkenen gemeint, Jakobsen, nicht die Bleichnase, sondern den, der ihm gegenübersaß, den mit dem schwarzen Bart. Sie

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