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Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Bellin
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malträtierte Kehrseite nicht zu bemerken, offenbar kannte er die Praktiken seines Herrn und Meisters. Er nahm die Gerte und hängte sie wieder mit dem güldenen Kettchen an den Haken. Wie oft mochte er das schon getan haben? Ein anderes Mädchen, dieselbe Gerte? Und was wurde jeweils aus dem Mädchen? Britta hatte einen Ansturm von Furcht zu überstehen.
    Juri führte sie stumm hinaus, zurück in das helle Zimmer von vorhin. Dort stellte er den Fernseher an und reichte ihr die Fernbedienung.
    »Juri, was wird jetzt mit mir?«
    Er zuckte mit den Schultern. War er stumm? Hatte man ihm die Zunge herausgerissen? War sie hier in de Sades Reich gelandet?
    Juri ging. Britta legte sich bäuchlings auf das Bett. Es stand ebenfalls den Fenstern gegenüber und war bedeckt mit einer weißen Waffelpikeedecke. Zwischen zwei Fenstern stand der Fernsehapparat. Es gab Werbespots: Waschpulver und Knusperflocken, Parfüm, Sex und Schokolade.
    Die Schöne und das Tier – oder das Biest? Oder die Bestie? Der herrliche Cocteau-Film mit Jean Marais – ach, das hier war gar nicht romantisch.
    Aber noch lebte sie ja. Machte sie das Beste draus: guckte sie in die Glotze.
    Doch gleich darauf war Britta eingeschlafen. Sie schlief bis zum nächsten Morgen.

5. Kapitel
    Lucie fürchtete sich vor ihrem fünfzigsten Geburtstag. Sie hätte es niemals zugegeben, das wußte Richard. Aber es war der Fall. Sie haßte alle Formen öffentlicher Vertraulichkeit und vertraulicher Öffentlichkeit. Es paßte nicht zu ihr, Schwächen zuzugeben. Altern empfand sie als Niederlage. Nicht mehr sieghaft jung zu sein, das unterlag nicht dem eigenen Willen, war nicht mit Stolz oder Hochmut abzuwenden. Die einzigen Mittel dagegen waren energische Pflege und der eiserne Entschluß, die Tatsache nicht an die große Glocke zu hängen.
    Eine rauschende Geburtstagsfeier war also keinesfalls in Lucies Sinne. Richard schlug ihr deshalb vor: »Laß uns in einem schönen Hotel feiern, nur wir drei. Du, ich und Angela.«
    »Wenn du meinst … eigentlich überhaupt kein übler Gedanke …«
    Er sah ihr die Erleichterung an. Lucie hatte kein besonders diffiziles Mienenspiel, und er kannte alle Nuancen, über die sie verfügte. Jedenfalls bildete er sich das ein.
    »Wo, dachtest du?«
    Er schlug ein Hotel im Schwarzwald vor. Es war ein milder Herbst mit rotgoldenen Tagen und kühlen Nächten, in denen die Erde nach dem trockenen Sommer aufzuatmen schien. Sie waren vor Jahren zusammen in diesem Hotel gewesen und einander für kurze Zeit näher gekommen als jemals zuvor oder danach.
    Damals hatte der Alte noch gelebt. Es war Richard so erschienen, als brächte die räumliche Entfernung von dessen Dunstkreis eine andere, gelöste und heitere Lucie an den Tag.
    Eine Lucie, die er so hätte lieben können, wie er es im Grunde gern wollte.
    Doch der Alte war im Tod stärker, als er im Leben gewesen war. Vielleicht hatte er sterbend seine Kraft auf seine einzige Tochter übertragen? Seine Kraft und auch seine Unbeugsamkeit?
    Lucie war härter geworden, rechthaberisch und humorloser als früher. Dem Vater ähnlicher.
    Trotzdem fühlte sich Richard zuversichtlich, als die Suite bestellt war. Angela hatte rundweg erklärt, sie sei nicht abkömmlich, könne weder ihr Studium noch ihren Golfunterricht unterbrechen.
    »Ich werde lieb an dich denken, Mami. Das Geschenk gebe ich Papa mit. Okay? Du bist doch kein Geburtstagsmütterchen. Ist ja auch total aus der Mode, die Kerzen auszupusten. Okay?«
    »Schon gut, mein Kind.«
    Eltern hatten Verständnis zu zeigen. Es wäre höchst lächerlich gewesen, ein erwachsenes Mädchen zu einem Hotelaufenthalt zu zwingen. Auch ein Luxushotel war nichts Besonderes für Angela.
    Richard wäre ein Wochenende in Paris oder Wien lieber gewesen, weit weg von den Phantomzeichnungen im Fernsehen, von der Berichterstattung über ›seinen‹ Fall und den Stand der Ermittlungen. Aber Lucie mochte keine Großstädte als Reiseziele. Der Trip nach Leipzig war ein Flop gewesen.
    Von Britta gab es keine Spur. Das empfand Richard als vorteilhaft. Zuerst hatte er befürchtet, sie könnte tot aufgefunden werden. Dann hätte man die Anstrengungen, ihn zu finden, sicher verdoppelt. Irgendwann würde Sand über die Sache geweht sein, das hoffte er inständig. Es gab ein Übermaß an Kriminalität in Berlin. ›Frontstadt des Verbrechens‹ hatte kürzlich eine Zeitung getitelt. Vielleicht verlief sich diese Geschichte, wenn andere Verbrechen das Interesse

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