Der Tote im Grandhotel
weitergelaufen, aber der Schreck hatte noch nachgewirkt, seinen Puls beschleunigt und Leere im Kopf hinterlassen.
Wie jetzt. Aber diesmal war es Wirklichkeit, da gab es keinen Zweifel. Er stockte, schaute den Gang in beiden Richtungen entlang, sah sich sozusagen selbst zu, als er nun vorsichtig eintrat und die Tür schloß, gesteuert ausschließlich von seinen Instinkten.
Er erblickte den toten Mann. Er wunderte sich, daß er nicht stärker entsetzt war. Ein Mann ohne Gesicht. Er lag auf dem Rücken in einer Blutlache, die das karierte Jackett, die Hose, die Socken durchtränkte. Der Sessel war mit dem vollgespritzt, was wohl einmal sein Kopf gewesen war. Er hatte nur noch einen Rest davon. Eine furchtbare Hinrichtung hatte hier stattgefunden.
Wer immer es getan hatte, er war auf Nummer Sicher gegangen: Keine Chance für den Delinquenten. Und für Britta? Die Erkenntnis stürzte auf Richard ein: Sie mußte irgend etwas mit der Sache zu tun haben!
Er zwang sich, sich umzuschauen, weiterzugehen. Die Beine wollten ihm den Dienst versagen. Er räusperte sich und sagte vorsichtig: »Britta!«
»Britta? … Britta!« Seine Stimme wurde lauter. Wie ein Roboter marschierte er ins Bad. Da lag ihr Negligee auf dem Hocker. Ein Duft von Parfüm hing im Raum. Keine Britta.
Richard ging ins Schlafzimmer, schaute in den begehbaren Ankleideschrank. Dort hingen und lagen ihre Sachen, natürlich konnte er nicht feststellen, ob sie vollständig waren. Auf der Bank für das Gepäck standen Brittas nachgemachter Vuitton-Koffer und die Reisetasche.
Britta war also nicht da. Weder lebendig noch tot. Erst jetzt ging ihm auf, daß er selber in Gefahr schwebte. In Gefahr, hier entdeckt, erkannt, hineingezogen zu werden in eine finstere Mordgeschichte, die begonnen hatte als federleichte Affäre. Die konnten ihn gar für den Täter halten! Bestenfalls wäre er entlarvt als Herr auf Abwegen, Seitenspringer unter falschem Namen im zweifelhaftesten Milieu. Lucie würde ihm das nie verzeihen!
Sie würde ihn fallenlassen wie eine heiße Kartoffel, das stand eisern fest. Sie würde ihn abschaffen wie einen Hund, der plötzlich bissig wird. Es wäre sein Ruin! Die Boulevardpresse schlägt zu. Seine unfehlbaren Geschäftspartner distanzierten sich von dem Aufsteiger, dem sie nie getraut hatten. Solche Fälle klamüserten sich Drehbuchautoren aus, aber hier war die Hauptrolle mit ihm besetzt, mit Richard Hornung ganz persönlich. Wenn er nicht aufpaßte!
Augenblicklich spürte er den Adrenalinstoß. Neue Kraft. Sich umschauen. Handeln. Zwei Schritte bis zur Tür. Vorsichtig auf den Gang hinausspähen. War jemand vorbeigekommen? Nein, wohl nicht. Von links schob gerade ein Zimmermädchen ihren Wagen mit frischen Handtüchern, Bettwäsche und Putzmitteln in seine Richtung und parkte ihn drei Türen weiter.
Er zog die Tür leise von innen zu, wartete etwas, sah vorsichtig abermals hinaus. Der Wagen stand da. Sie war verschwunden. Richard trat aus der Tür, wischte eilig den Knauf, den er berührt hatte, mit seinem Staubmantel ab, zog die Tür zu, achtete darauf, daß ›Bitte nicht stören‹ wieder lesbar war, hastete den Gang entlang, die Treppen hinunter, sie waren leer, alle ordentlichen Leute fuhren im Aufzug. Er gehörte zur Zeit nicht dazu.
Irgendwo gab es in jedem Hotel Hinterausgänge. Er kannte von einem früheren Besuch her die Sauna im Keller. Von da aus konnte man ins Freie gelangen. Er ging durch den Heizungstrakt. Daneben schien die Wäscherei zu sein. Er trat möglichst sicher auf. Falls ihn jemand sah, konnte er ihn für einen Ingenieur oder einen kompetenten Hotelangestellten halten. Jedenfalls hoffte er das. Aber er traf zum Glück niemanden.
Dann war er draußen, auf einem Hof, auf dem Lieferwagen und wenige Privatwagen parkten. Auch hier war niemand zu sehen. Es erschien ihm wie eine Fügung, ein Wunder, das Zeichen einer wohlwollenden Macht.
Auf der Straße brach ihm der Schweiß aus. Sein Magen revoltierte. Er zitterte am ganzen Körper. Er war in Gefahr umzusinken.
Mit großer Willensanstrengung zwang er sich zum Weitergehen. Nicht schlappmachen! Du hast nichts getan! Du hast etwas gesehen, aber nichts getan! Du konntest nicht helfen! Der Mann war tot. Also hast du nichts unterlassen. Britta ist fort. Sie ist entweder schon vor dem Mord ausgezogen, vielleicht zu einem anderen Mann, bestimmt ist sie da nicht heikel. Oder sie ist geflohen. Oder … tot? War sie in diese Geschichte verwickelt?
Im Grunde wußte er
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