Der Tote im Grandhotel
sie ganz normale dienstliche Telefongespräche miteinander geführt. Er war ein poten-ter Kunde von INA gewesen. Eines Tages war er in das Büro ge-
kommen und hatte sich ihr vorgestel t mit der Bemerkung, sie sehe genauso aus, wie er sie sich der Stimme nach vorgestellt hätte. Er hoffe nun, daß sie ihn nicht so ledern finde, wie sein Name es vielleicht vermuten lasse. Er hatte sie zum Essen eingeladen, in ein feudales Lokal, sich danach aber keinerlei Freiheiten herausgenommen.
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Nach der dritten Einladung hatte er sie um einen kleinen Gefal-
len gebeten.
Sie hatte gezögert, und er hatte erklärt: »Ich nenne Ihnen mal
gleich mein bestes Argument.« Und das Argument war die Bezah-
lung. Sehr üppig, sehr verlockend. Nicht nur wegen der Kaufkraft.
Geld stand für Erfolg. Und Erfolg war fast so gut wie Liebe. Besser vielleicht. Würden sonst so viele Männer den Erfolg über die Liebe stellen?
Nun, zuerst war es wirklich einfach gewesen. Richtig nett und lustig, ein bißchen wie beim Geheimdienst, wenn es stimmte, was man da so las. Vielleicht wollte Mister Lederman sie zuerst nur testen?
Im Grandhotel hatte sich nun eine weiche Männerstimme mit
östlichem Akzent bei ihr am Telefon gemeldet: »Spreche ich mit
Frau Hugendübel?«
Es war abgemacht, daß sie diesmal unter dem Namen Hugen-
dübel absteigen sollte. Die Idee mit Richard Hornung stammte
allerdings ganz und gar von ihr. Aber warum sollte Frau Hugen-
dübel nicht verheiratet sein? Das schadete doch sicher keinem
Menschen.
»Ja, bitte?«
»Hier ist Boris. Es geht um Onkel Nick.«
»Oh, ja, Boris. Sonntag abend, zehn Uhr«, hatte sie erwidert.
›Onkel Nick‹ war das Stichwort. ›Nick‹ war wohl Mister Leder-
mans Vorname. Es klappte ja wieder hervorragend. Sie würde dem
Mann die Uhren geben. Er würde ihr sein Päckchen überreichen,
das sie in der mittelafrikanischen Botschaft abliefern sollte, zusammen mit dem Spielzeug im Schrank, die würden alles weiterbeför-
dern, Diplomatengepäck würde überhaupt nicht durchsucht. Kin-
derleicht. Ein Traumjob – irgendwie.
Sie ging ins Kino und war rechtzeitig zurück. Duschte noch in
aller Ruhe. Sie fühlte sich entspannt und noch gesättigt von Leidenschaft.
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Um zehn hatte es an der Tür ihrer Suite geklopft. Sie hatte geöffnet, gekleidet in ihren neuen Hosenanzug von Armani, hellgraue
Seide. Dazu trug sie die passenden Wahnsinnsstiefelettchen. Nicht, daß sie ein Abenteuer direkt gesucht hätte, aber manchmal ergab sich ein Flirt. Und nach ›Spellbound‹ hatte sie geduftet, verführe-risch und apart.
Jetzt roch sie nach Schweiß und Urin. Der Hosenanzug war
durchnäßt und verkrumpelt. Die Schenkel juckten, und sie konnte sich nicht einmal kratzen, weil ihre Hände gefesselt waren.
Sie begann laut zu beten. Von Kind an betete sie: Lieber Gott,
und manchmal spürte sie deutlich, wie der da oben sich zu ihr
neigte und ihren Bitten lauschte, gütig und allwissend. Aber jetzt hörte er nicht zu.
Britta dachte, daß sie gern sterben wollte, aber sie wußte zugleich, daß sie überhaupt nicht sterben wollte. Sie wollte leben und glücklich sein, sich über Kleinigkeiten aufregen, sich über ihre Kollegin Lindi ärgern, Serien im Fernsehen anschauen, in die Disco gehen und Liebe machen, alles, was schön und wichtig und das echte Leben war.
Ich muß schlafen. Ich muß schlafen, um frisch zu sein, wenn es
hier losgeht. Aber sie wurde das Schreckensbild nicht los.
Boris hatte die Uhren in Empfang genommen, ohne jede persön-
liche Kontaktaufnahme. Sie hatte sich auch nicht darum bemüht.
Sein Aussehen schüchterte sie ein. Er wirkte gefährlich und grausam mit diesen schrägen Augen im zu mageren Gesicht. Schwarze Augen, hohe Wangenknochen, schmaler Mund, gelber Teint. Er sah
aus wie ein Mongole. Jedenfalls konnte Britta ihn sich gut vorstellen im Sattel, in Dschingis-Khans Regiment, ein Lasso schwingend –
oder hatten sie Säbel gehabt?
Er hatte sein Päckchen aus einer simplen Plastiktüte gezogen und auf den Tisch gelegt, die Uhren in dieselbe Tüte verstaut und war wortlos zur Tür geschritten, die sie entriegelte. Er öffnete die Tür.
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Zwei Männer drängten ihn zurück ins Zimmer. Sie wußte instink-
tiv, daß die beiden äußerste Gefahr bedeuteten, und zog sich ge-räuschlos in den Hintergrund des Zimmers zurück.
Boris wurde gegen den grünen Sessel gedrängt. Der Magere schloß die Tür, während der Junge Boris bedrängte. Britta hörte ein
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