Der Tote im Grandhotel
Mund.
»Wohin hat der Mann dich geschickt?«
»Zweimal nach Nassau auf den Bahamas. Einmal in ein Hotel auf
Moorea. Dann sollte ich nach Warschau, aber das hat sich zerschlagen. Und jetzt Berlin …«
»Wie genau war das Kennwort?«
»›Onkel Nick läßt grüßen.‹ Der in Berlin, der das sagte am Telefon, nannte sich Boris. Er sah wie ein Kosak aus.«
»Aha! Sehr schön. Nun erzähl mir etwas über die Organisation.
Du wirst schließlich nicht nur den Onkel Nick kennen.«
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»Auf den Bahamas habe ich mit einem in meinem Hotelzimmer
ein Glas Planter's Punch getrunken. Wir waren uns sympathisch.
Wie er hieß, weiß ich nicht. Ich sollte ihn Don nennen. Er sah wie ein Europäer aus. Vielleicht ein Litauer oder ein Lette. Oder ein Russe. So östlich, irgendwie. Wir … wir mochten uns irgendwie.«
Ihr kamen die Tränen. Sie hatten sich einen Nachmittag lang ge-
liebt. Das Reisenecessaire, das sie übergeben hatte, lag unter dem Hotelbett. Die Sonne hatte das Zimmer in Gold getaucht, die Kli-maanlage hatte die Illusion von frischem Seewind gezaubert, wie die Ventilatoren neben der Sonnenbank im New Yorker Studio, wo
sie ein Abonnement hatte.
»Du wirst mir nicht erzählen, daß dein Lederman in New York
Amerikaner ist. Kann er Russe sein? Einer aus dem Osten?«
Sie wagte nicht zu fragen, weshalb das eine Rolle spielen sollte.
Aber wenn sie es nun recht bedachte, hatten die meisten Männer
wirklich gewirkt, als kämen sie aus dem Osten. So wie die Truppe hier. Irgendwie.
»Glaub' ich nicht. Nein.«
»Hat er mal jemanden mitgebracht zu euren Treffen? Denk nach.
Es ist wichtig für dich.«
Er war gar nicht mehr freundlich.
»Ich sage die Wahrheit. Bitte glauben Sie mir. Er kam immer al-
lein. Einmal war er in dem INA-Büro, wo ich arbeite. Dann trafen wir uns in verschiedenen Restaurants. Jedesmal woanders.«
»Und du fandest das ganz normal. Na schön. Deine Adresse?«
»Soho. Preston Place zwölf.«
»Allein? Wohnst du allein?«
»Ja.«
Er gab ihr eine Ohrfeige, nicht sehr hart, aber auf die Wange, auf die der Magere sie schon geschlagen hatte.
»Mit einer Kollegin. Diana West. Sie ist eine Spur schwarz, sehr nett und hübsch. Sie hat aber nie mitgemacht.«
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Darauf kam es nun auch nicht mehr an. Offenbar wußten sie Be-
scheid und wollten nur ihre Wahrheitsliebe testen.
Er lächelte leicht.
»Na also. Wir wollen doch nett zueinander sein. Du möchtest
nicht, daß ich dich schlage. Aber wenn du lügst, dann wird es sehr unangenehm für dich. Schau auf den Tisch da. Sehr verstockte Leute werden auf ihm sehr gefügig. Verstehst du?«
Ihre Zähne schlugen aufeinander. Was konnte sie ihm denn noch
erzählen? Sollte sie etwas erfinden? Offenbar wollte er etwas Bestimmtes erfahren. Aber was?
Ihr war jetzt klar, daß sie sich offenbar dumm und leichtsinnig in den Einflußbereich einer Organisation begeben hatte. Es ging um mehr als um das bißchen, das sie transportierte. Es ging um Macht und um Verbindungen. Vielleicht war der Tote ein Abtrünniger gewesen, einer im Alleingang oder Mitglied einer konkurrierenden Gang?
Sie hatte früher gern gemütlich in Krimis gelesen, wie da bei der Mafia Aussteiger bestraft wurden: totgeschlagen, erschossen, er-tränkt, erwürgt. Leichen mit einem Kanarienvogel im Mund, wenn
der Delinquent ›gesungen‹ hatte. Bei diesen Typen mochte es ähnlich sein.
Eine Connection, für die sie ein winziges Licht war. Er hatte sie geschlagen. Er würde sie ohne weiteres foltern, vergewaltigen, wenn er es für richtig hielt. Töten? Auch töten.
Inzwischen wußte sie zuviel, als daß sie noch hätte glauben dürfen, sie ließen sie frei. Diese Erkenntnis breitete sich mit Eiseskälte in ihr aus.
»Mister Lederman hat einmal während des Essens telefoniert. Da
habe ich etwas wie Bokoi gehört, das schien ein Name zu sein,
Bokoi oder so ähnlich, ich fand damals, daß es wie Bolschoi klang, und deshalb habe ich es behalten. Er hat gesagt, sein Sohn sei interessiert. Und er säße hier mit einer hübschen, tüchtigen Zaubermaus.«
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Sie wurde verlegen. Aber es stimmte wirklich.
Der Schöne nickte und schien interessiert zu sein. Der Lebenser-haltungstrieb gab ihr ein zu sagen:
»Einmal gab er mir eine Telefonnummer. Vor der Reise auf die
Bahamas. Vor der zweiten Reise. Da sol te ich anrufen, wenn etwas nicht klappte. In New York. Ich mußte mir die Nummer merken,
und das tat ich. Aber jetzt fällt sie mir nicht ein. Ehrenwort. Ich bin zu
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