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Der Tote im Grandhotel

Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Bellin
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neben dem großen Boß, und als die ersten Schüsseln hereingetragen wurden, war auch seine spezielle Funktion klar. Er kostete zuerst von allen Speisen für den Scheich. Dieser begann erst nach einer Weile zu essen.
    Der Vorkoster, der wahrscheinlich auch schon in der Küche die
    Lebensmittel auf tödliche Beimischungen hin überprüft hatte, setzte sich neben den Scheich, erhob sich aber bei jedem neuen Gang zum Vorkosten. Es war also offenbar, daß der Scheich damit rech-nen mußte, vergiftet zu werden.
    Richard zog einen merkwürdigen Trost aus diesem Anschauungs-
    unterricht. So ein stinkreicher, mächtiger Mann mußte ständig um sein Leben fürchten, während ihn selbst schon ein vager, dazu völlig ungerechtfertigter Verdacht und ein läppisches Phantombild beinahe aus den Angeln hob.
    Am Tag ihrer Abreise geschah morgens noch etwas Verwirrendes.
    Richard und Lucie fuhren im Fahrstuhl hinunter, um nun doch
    noch einmal das Frühstücksbüfett zu nutzen. Sie hatten vor dem
    Einsteigen auf der Treppe nach oben Frauenstimmen, leises Gelächter und das Geräusch huschender Füße gehört. Als nun der Fahr-
    stuhl auf ihrer Etage anhielt, standen darin die schwarze Dienerin und eine der Haremsdamen, ein zierliches Geschöpf, farbenprächtig gekleidet, aber unverschleiert. Sie war stark geschminkt und hatte rötlich getöntes Haar.
    Als sie die Fremden gewahrte, drehte sie sich sofort zur Fahrstuhl-wand und zog den Schleier hoch. Aber Richard hatte eine Sekunde lang geglaubt, es sei Britta. Obwohl er seinen Irrtum sofort bemerk-63
    te, war ihm schon der Schweiß ausgebrochen, die Knie gaben fast nach, die Erholung dieses Wochenendes war dahin. Er wußte plötzlich mit absoluter Sicherheit, daß der Schrecken seines folgenreichen Abenteuers noch nicht ausgestanden war.
    »Ist etwas, Richard?!«
    »Nein, nein. Etwas schwül, nicht wahr?«
    Die Damen verließen den Lift im Erdgeschoß, wie Lucie und
    Richard ebenfalls. Einer der Kindermänner hielt die Haustür auf.
    Sie begaben sich sofort zu einer der Staatskarossen, die bereits vor-gefahren war.
    »Du bist ganz blaß, Richard«, bemerkte Lucie.
    »Diese orientalischen Düfte hauen kühle Mitteleuropäer eben einfach um, findest du nicht?«
    »Ich habe gar nichts bemerkt. Aber meine Nase ist ja auch nicht sehr empfindlich.«
    Als sie etwas später bei ihrer Abreise die Hal e durchquerten, hatte sich dort wieder das gesamte Hotelpersonal aufgebaut. Diener des Scheichs schleppten gerade die Metalltruhen nach draußen. Die Angestellten bildeten ein diskretes Spalier. Ein Hotelgast sagte ziemlich laut: »Solche Scheichs sollen zum Abschied Uhren und
    Gold verteilen.« Offenbar wurde das auch erwartet.
    Von den Hornungs nahm jedenfalls niemand Notiz bei ihrer Ab-
    reise.
    »Scheich müßte man sein«, scherzte Lucie.
    »Den Vorkoster mit dem Cowboyhut würde ich entlassen.«
    »Vielleicht ist der ein Neffe?«
    »Dann würde ich ihn in den Kerker werfen lassen.«
    »Richard, du auch gerade! Du bist doch ein ganz sanfter Hein-
    rich.«
    »Da bin ich nicht so sicher«, erwiderte er wahrheitsgemäß.
    64
    6. Kapitel
    edel hatte seinen Wecker auf sieben gestel t. Letzte Nacht war
    Wes spät geworden. Seine Monica hatte Geburtstag. Auf ihren
    Wunsch hin waren sie in die Philharmonie gegangen. Monica liebte Konzerte. Er war stolz darauf, daß seine Frau solche musischen
    Neigungen hatte.
    Claudio Abbado dirigierte Mussorgskijs ›Boris Godunow‹. Russi-
    sche Sänger, drei Chöre, riesige Leidenschaft, alles echt rrrussisch, obwohl der Abbado ja wohl Italiener war. Sie gaben wirklich alles.
    Wedel hätte niemals eingestanden, daß ihn die romantische Ge-
    schichte von Schuld und Sühne am Zarenhof ergriff und daß die
    Musik des Prologs ihm wieder diese peinlichen Tränen in die Au-
    gen trieb, die sich auch in der Kirche nicht bremsen ließen, wenn Weihnachten das Orgelspiel einsetzte.
    Er sagte nachher zu Monica, das sei ja zum Glück eine richtige
    Story gewesen, unter der sogar ein nüchterner Kriminalmensch sich etwas vorstellen könne. Ja, beinahe sein Metier. Mord und Totschlag, Verdächtige, Intriganten und Täter. Wie im wirklichen Leben. Er habe da gerade so einen Fall…
    Danach hatte er Monica ins ›Pergola‹ geführt, wo Italiener so taten, als hätten sie ein Luxusrestaurant mit vier Michelin-Sternen. Allein der Grappa, den er und Monica zum Schluß zur Feier des Ta-
    ges getrunken hatten, angewärmt und mit silbernen Deckelchen als Kostbarkeit serviert, hatte

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