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Der Tote im Grandhotel

Der Tote im Grandhotel

Titel: Der Tote im Grandhotel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Bellin
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das bisher gebräuchliche.«
    »Aber in welcher Funktion war der Ermordete wohl in Berlin?«
    »Gute Frage. Das Netz ist jedenfalls außerordentlich kompliziert.
    Er könnte einen Alleingang versucht haben. Oder dieses Paar Hu-
    gendübel hat auf eigene Faust gearbeitet mit den begehrten Arti-keln. Das macht man hier aber nicht lange. Wahrscheinlich begu-
    cken die beiden schon in irgendeiner Kiesgrube die Radieschen von unten oder laufen mit Betonstiefeln im Schlachtensee spazieren.«
    »Vielleicht wollte der Russe eine Lieferung bezahlen. Die Hugen-dübels haben ihn umgelegt und sind mit dem Geld abgerauscht.«
    »Wenn es überhaupt ein Russe war.«
    Daß junge Leute immer glaubten, sie könnten Welträtsel im Null-
    kommanichts lösen!
    »Nee, daß nur die Sachen der Frau im Raum waren und seine
    ratzekahl ausgeräumt, das bedeutet was. Aber was? Ach Gottchen, 70
    ich hätte Sparkassendirektor werden sollen wie mein Bruder. Da
    geht's ordentlich um Soll und Haben. Wir hier sollen immer, aber haben tun wir nichts.«
    »Sie hätten Kabarettist werden sollen, Herr Wedel, die Pointe war doch schon bühnenreif.«
    »Ach, Mädchen. Wenn ich pensioniert bin, zieh' ich nach Mallor-
    ca.«
    »Soweit ist es ja noch lange nicht.«
    »Wahrscheinlich werde ich vorher schon den Löffel abgeben.
    Herzinfarkt.«
    »Sie sind doch topfit.«
    »Ich empfange schlechte Schwingungen. Sagt ihr Jungen nicht so, Lady Mady?«
    »Längst überholt.«
    Sie grinste. Nicht unhübsch, in der Tat. Meinte sie es doppeldeutig? War das auf ihn gemünzt? Ein Segen, daß Monica noch alte
    Schule war.
    71
    7. Kapitel
    oritz Mach betrat eine kleine Wohnung und stellte sofort den
    MPlayer an. Er schob Phil Collins ein, eine sanfte Melodie mit
    einer traurigen Story über die Ausgestoßenen der Erde, vorgetragen im typischen Collins-Sound, ein Stück klang wie das andere, ob
    Phil nun die Leiden der Wohlstandskids oder die Nachtseiten im
    Leben von Underdogs beklagte mit seiner soften, etwas negroid an-gehauchten Stimme.
    Moritz wußte von den TV-Videos, daß Phil auch mimisch über-
    haupt nicht variabel war. Er sah sich immer ganz und gar gleich, einfach und sogar ein bißchen simpel. Und gerade das war ja so
    wundervoll. Man wußte, woran man war. Stetigkeit, Zuverlässigkeit, Gefühl ohne Abstürze – wünschte sich das im Grunde nicht jeder?
    Und wie selten gab es das!
    Moritz setzte sich in den Schaukelstuhl und lauschte Phils Ge-
    sang. Nachher wollte er duschen und seinen rostroten, seidenen
    Morgenrock anziehen. Aber erst einmal ließ er die Wohnung auf
    sich wirken. Seine Wohnung! Ein sehr großes Zimmer, winziges
    Bad, winzige Küche, winziger Korridor. Riesenfenster, die über einen Außengang hinweg, der allen Mietern des Hauses und ihren
    Gästen und leider auch ungebetenen Besuchern offenstand, auf die belebte Straße hinausgingen. Keine Vorhänge. Wer glotzen wollte, sollte glotzen.
    Das pulsierende Leben einer Großstadt. Berlin war beinahe so gut wie London oder New York, diese Metropolen, von denen Moritz
    geträumt hatte, als er noch in Rendsburg lebte. Er hatte im Café gesessen und den Mädchen zugeblinzelt, seinen Klassenkumpels Witze erzählt. Er war einer von ihnen. Einer, der dazugehörte. Die Mäd-72
    chen mochten ihn. Er war hübsch mit seinen widerspenstigen blonden Haaren und den veilchenblauen Augen. Ein Gesicht wie aus einem Werbeprospekt. Leider war er nicht groß, aber dafür gut proportioniert. Kräftige Schenkel, gerade Beine, schmale Hüften. Die Schultern hätten etwas breiter sein können, doch das ließ sich vielleicht noch durch Bodybuilding korrigieren.
    Oft hatte er sich im Spiegel des elterlichen Schlafzimmers be-
    trachtet, dem einzigen Spiegel im ganzen Haus, in dem man sich
    von Kopf bis Fuß sehen konnte. Wenn seine Mutter beim Friseur
    gewesen war oder einkaufte oder Behördengänge erledigte, hatte er sich manchmal sogar nackt ausgezogen und gedreht und gewendet,
    sich sein Profil angeschaut, die gerade Nase, den etwas aufgeworfe-nen Mund, das kräftige Kinn, den Brustkorb, die flache Bauchpartie, das – dieses Allerwichtigste da unten. Sehnsuchtsvoll. Und mit einem kleinen Lächeln.
    In der Schule lernten sie vieles über Sexualität. Trotzdem brachte er es noch nicht auf die Reihe. Seinen Vater konnte er nicht fragen.
    Papa, der so alt war wie manche Opas von Mitschülern, war ein total verhaltener Typ. Stark und wortkarg.
    Moritz hatte mit der hübschen Jenni aus seiner Klasse geknutscht und nach

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