Der Tote im Grandhotel
immer.
Andererseits wurden Morde aus nichtigeren Anlässen begangen.
Und um ein kleineres Flugzeug zu atomisieren, dachte Wedel rüde, würden Häuschen, Bäumchen und Blümchen allemal reichen.
»Es könnte das Unternehmen eines Einzeltäters sein. Aber ich
könnte mir auch vorstellen, daß ein kleiner Fisch hier unabsichtlich ins Haifischbecken geraten ist«, vertraute Wedel seiner jungen Kollegin Mady Saparonsky an, die ihn wieder mit Eulenaugen an-
starrte, als wolle sie ihn hypnotisieren. Oder vernaschen.
Es war aber bei der nur der reine Ehrgeiz. Die Kleine war ehrgei-ziger, als es die Polizei erlaubte. Clever, fleißig bis unermüdlich, ge-sund. Dabei auch noch recht hübsch. Wenn sie nur ein bißchen
Glück hatte, stand ihrer Karriere nichts im Wege, Quotenfrau oder nicht.
»Der Tote ist möglicherweise Russe«, spann er sein Garn weiter.
»Vielleicht O.K. – organisierte Kriminalität? Russen, Polen und Italiener kämpfen hier um Terrain. Chinesen halten sich zur Zeit noch an ihre eigenen Leute. Zigeuner sind eher auf Kleinkram speziali-siert. Außer in den neuen Bundesländern. Da mischen sie schon
oben mit. Aber den ganz großen Kuchen schneiden neuerdings von
der anderen Seite aus eben die Russen an, Tschetschenen vorneweg, die russischen ›Südländer.‹ Und das sehen die italienischen Südländer, unsere alten Freunde von der Mafia, nun aber gar nicht so
gern.«
»Es könnte um den Aufbau einer neuen Rauschgift-Connection
gehen, wie damals San Francisco – Paris«, gab Mady ihren Senf
dazu.
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»Das war graue Steinzeit, Mädchen. Jetzt ist Krieg auf der ganzen Linie. Da geht's um geklaute Autos ebenso wie um entführte und
an verschwiegener Stelle umgeladene Lastwagen mit wertvoller
Fracht wie Uzi-Maschinenpistolen und Pumpguns und was sonst
nicht niet- und nagelfest war auf den ehemaligen Stützpunkten der Sowjetarmee, um erpreßte Schutzgelder, Prostitution und Ikonenschmuggel, den Erwerb von seriösen Betrieben wie Gaststätten und Spielsalons zum Beispiel, die gar nicht florieren müssen, sondern nur der reinen Geldwäsche dienen. Um Drogen natürlich erst
recht.«
Mady nickte.
Wichtigtuerisch, fand Wedel.
»Was wir wissen, stützt sich doch im Grunde alles nur auf Vermu-tungen. Im Drogenhandel stecken eben diese riesigen Gewinne,
und die ziehen die O.K. ins Land. In den USA zu Zeiten der Prohi-bition setzte sich dort die Mafia fest. Für immer. Demokratien sind zu unbeweglich, zu unflexibel…«
Wedel runzelte die Stirn. Er konnte diese naseweise Tour junger Leute auf den Tod nicht vertragen. Sie waren vollgestopft mit Theorie und dachten, jetzt wüßten sie Bescheid. Er war ein Praktiker, klar. Von reiner Theorie hielt er gar nichts. Sensibel mußte man sein, auf Zwischentöne achten, hineinhorchen in einen Fall. Nicht zu selbstsicher sein. Klar, sie waren jung. Kriegten schon als Kinder zuviel mit, durch das Fernsehen. Es gab kein Bildungsprivileg der Erwachsenen mehr. Wissen war allen gleichmäßig zugänglich. Wie
im Mittelalter, als zwischen Kindern und Erwachsenen kein Unterschied gemacht wurde und böse Steppkes sogar hingerichtet wor-
den waren.
Mady dozierte denn auch prompt weiter: »Die meisten Morphin-
basen für unseren Raum wurden ja bisher in Sizilien aufbereitet.
Ich hab' gelesen, daß für tausend Gramm schneeweißes Heroin,
Spitzenqualität, zehntausend Gramm Opium gebraucht werden.«
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»Ja, und ein Kilo Essigsäureanhydrit, je feiner das Zeug, desto besser auch das Heroin. Da liegt der Hase im Pfeffer. Die Russen mischen mit. Riesige Mohnplantagen um Tschernobyl liefern reichlich Grundstoff für die Heroinaufbereitung. Der afghanische Markt ist im Eimer. Rußland ist durch die neue wirtschaftliche Struktur nicht nur Ziel für den Absatz, sondern auch als Durchgangsland interessant. Sechs Tage dauert auf diesem Wege ein Rauschgifttransport vom Goldenen Halbmond bis zum Süchtigen. Früher wurde ver-schifft oder der riskante Landweg über Iran und Türkei genommen.
Die geringen Mengen, die in Flugzeugen geschmuggelt werden, sind eher Kleinkram für die großen Organisationen.«
Madys Miene drückte eine gewisse Anerkennung aus. Ja, dachte
sie denn im Ernst, sie könnte einen alten, gewieften Hasen mit
ihren paar angelesenen Wissensbrocken beeindrucken?
»Und jetzt wird Essigsäureanhydrit also auch aus den ehemaligen asiatischen Sowjetrepubliken bezogen«, sagte sie.
»Genau. Allerdings ist es nicht erstklassig, dafür aber billiger als
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