Der Tote im Grandhotel
die ganz einfachen Chancen setzte: Rot, gerade Zahlen, und bei Verlust den Einsatz verdoppelte – das Rezept für Geduldige, mit dem sich in Monte Carlo verschämte Adlige und
verarmte Abenteurer mühsam ihr tägliches Schärflein verdienten –, kam mit einem geringfügigen Gewinn über die Runden.
Obwohl Lucie einen Verlust durchaus hätte verschmerzen kön-
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nen, freute sie sich übermäßig über ihren Gewinn, was allerdings nur jemand merken konnte, der sie genau kannte. Geld bedeutete
ihr viel. Noch mehr bedeutete ihr Reputation, viel mehr. Haltung war alles. Das hatte der Alte ihr eingebläut. Selbst Angela verzieh sie Ausrutscher in dieser Hinsicht schwer, und das kleine Luder wußte es und machte sich einen Extraspaß daraus, ihre Mama
durch besonders saloppes Benehmen zu reizen.
Am nächsten Tag kam der Scheich mit Gefolge ins Hotel.
Eine ganze Etage war am Tag zuvor geräumt worden, zum Glück
war es das Stockwerk über ihrer Suite. Die Gäste, die dort logiert hatten, mußten umziehen oder reisten verärgert ab. Nur ein Herr im Rollstuhl durfte weiterhin oben wohnen. Richard fand das merkwürdig und schalt sich selber: Deine Fantasie ist in letzter Zeit empfindlich überdreht!
Mittags fuhr die Autokarawane vor, mehrere langgestreckte schwarze Nobelkarossen, mit Kennzeichen des deutschen diploma-tischen Corps versehen. Der Scheich reiste als Ehrengast der Re-gierung.
Alle Hotelangestellten waren in der Halle versammelt. Viele Gäste lümmelten sich dort wie zufällig. Es erschien eine Kavalkade exotischer Gestalten: Zuerst kamen zwei Männer in weißen Gewän-
dern, unter deren Ausbuchtungen an der rechten Hüfte sich deut-
lich die Formen von Schußwaffen abzeichneten. Jeder trug einen
Knaben auf dem linken Arm, offenbar waren sie Kindermänner
anstelle von Kinderfrauen und erfüllten zugleich die Funktion von Bodyguards.
Es folgten mehrere abenteuerliche Gestalten. Zwei wirkten wie aus einem Western entsprungen. Ein anderer war strikt orientalisch gewandet. Die Mehrzahl der Männer war jedoch westlich gekleidet,
und zwar sehr elegant und sehr teuer.
Der Scheich – und es konnte überhaupt kein Zweifel daran be-
stehen, daß er der Chef war, das signalisierten sein selbstbewußtes 61
Auftreten und, mehr noch, das devote Verhalten der anderen – war klein und zierlich und glattrasiert, mit einem blauschwarzen Schimmer um Kinn und Oberlippe. Er trug einen dunklen Anzug und
einen hellen Cashmeremantel.
Zum Schluß huschten die tief verschleierten Damen herein und
traten sofort in den Fahrstuhl, dessen Tür ihnen eine dicke, unver-schleierte Negerin aufhielt.
Besonderes Aufsehen erregte die Dienerschaft. Je zwei Mann
schleppten Truhen aus Metall durch die Halle. Was mochte drin
sein? Lucie, die niemals zugegeben hätte, daß sie den Einzug der fremden Gäste mit hohem Interesse verfolgte, konnte es sich nicht verkneifen zu flüstern: »Da haben sie bestimmt Gold und Juwelen drin.«
Dann kehrte Ruhe ein. Das Personal verkrümelte sich wieder, die Gäste raschelten mit den Zeitungen oder verließen gleichfalls die Halle. Richard schaute seine Zeitung durch. Kein Wort über den
Toten im Hotel, keine Zeichnung von Britta oder von ihm. Es war Gras über die Sache gewachsen, wie er es sich erhofft hatte.
Lucie und Richard gingen früh zum Abendessen in den Speisesaal
hinunter, weil sie befürchteten, die Aufmerksamkeit des Personals könne sich allzusehr auf die Gäste aus dem Morgenland konzentrieren. Auf diese Weise bekamen sie ein Schauspiel von Macht und der Gefahr in ihrem Fahrwasser zu sehen.
Einer der beiden ›Cowboys‹, im Straßenanzug, aber immer noch
mit Hut, schlüpfte in die Küche und blieb eine Zeitlang dort, während andere Gestalten die Tafel überprüften, unter die Tische schauten, die weißen Tafeltücher anhoben und auch die Teller leicht
lüpften.
Der Cowboy erschien wieder aus der Küche und nahm mit Blick
zur Eingangstür Haltung an. Lucie vermutete, er brütete Spatzen unter seinem Hut aus. Richard tippte auf Papageien.
Es erklang zwar kein Tusch, doch schwappte förmlich eine Welle
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von Bedeutung und Macht in den Eßsaal, als der Scheich mit sei-
nem engsten Gefolge hereinrauschte und an der Tafel, in der Mitte mit Blick in den Raum, Platz nahm. Die anderen Männer verteilten sich, offenbar nach strengen Regeln. Sie waren immer noch sehr
unterschiedlich gewandet.
Der merkwürdige Cowboy behielt auch jetzt seinen Hut auf. Er
bezog Posten
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