Der Tote im Grandhotel
springen.
Aber das geht nicht. Ich bin gefesselt. Und ich würde sowieso nicht den Mut dazu haben. Solange noch ein Körnchen Hoffnung be-steht, hoffe ich. Und wenn es umsonst war zu hoffen, werde ich
vielleicht rechtzeitig ohnmächtig und muß nicht übermäßig leiden.
Denk nicht nach, Britta! Hör auf deinen Körper! Mach nicht das
Bett voll!
Sie raffte sich auf, kletterte mit zitternden Knien hinaus und benutzte den Nachttopf.
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Sie kamen!
Juri kam und machte sie los und führte sie den bekannten Weg
in Onkel Koljas Schlaf- und Quälzimmer. Die Kamera war schon
aufgebaut. Tatjana war nicht da, aber Vlado, frisch und nach her-bem Männerparfüm duftend, kam ihr federnd entgegen. Er lächelte sein wundervolles Engelslächeln. Niemand hätte dahinter die Grausamkeit vermuten können, zu der er fähig war.
Er führte sie, gemeinsam mit Juri, zu dem Sessel, den sie kannte.
Jede Regung außer der Angst schien aus Britta zu entweichen.
Tatjana war nicht da. Vielleicht kam sie noch? Die Tür öffnete
sich, und Onkel Kolja schlurfte herein in seinem weißen Bademantel.
Die ist das Ende, wußte Britta. Sie wollte beten, aber auch das war nicht mehr möglich. Ein fremder Mann betrat den Raum, ein
Durchschnittstyp, weder alt noch jung, weder groß noch klein,
weder hübsch noch häßlich.
Er stellte sich hinter die Kamera. Britta erkannte, daß es der andere Mann war, der neben Juri hier seine Aufgaben erfüllte. Juri legte ihr eine Manschette um den Hals. Keine Maske. Ihr Gesicht blieb frei diesmal. Aber an der Manschette war eine Kette befestigt.
Vlado ruckte probeweise daran und dirigierte ihren Hals und ihren Kopf schmerzhaft erst nach links, dann nach rechts.
Juri übernahm die Kette, während Britta fest an den Sessel gefesselt wurde, genauso wie das letztemal.
Das letzte Mal!
Dies würde das letzte Mal sein.
Während Onkel Kolja sich auf einem Stuhl niedergelassen hatte
und die Dogge sich zu seinen Füßen ausstreckte – ein Bild wie aus einem Prospekt für schöneres Wohnen –, trat Vlado zwischen die
Kamera und das Objekt Britta und deutete mit den Händen eine
›Klappe‹ an. »Exit eins, die erste«, rief er. Und in diesem Augenblick begann Britta zu schreien.
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Sie brüllte schrill und so laut, als wollte sie ihre Lunge ausspeien.
Sie brüllte, daß ihr die Augen aus dem Kopf quollen und die
Adern am Hals und an den Schläfen zu platzen drohten.
Dann steckten sie ihr einen Knebel in den Mund. Ein Tuch
schien es zu sein. Sie erstickte fast, weil sie durch die Nase zuerst überhaupt keine Luft bekam.
Sie kniff die Augen zu. Es gab keine Rettung mehr.
Dann erfüllte plötzlich das Geheul einer Sirene den Raum, schrill-te offenbar durch das ganze Haus; wahrscheinlich war alles hier mit Warnanlagen gespickt.
Sie hörte Onkel Kolja aufgeregt etwas sagen, dann fluchte Vlado.
Sie öffnete die Augen. Kolja und Vlado liefen zur Tür hinaus. Juri arbeitete hastig an ihren Fesseln, warf ihr dann aber einfach die Bettdecke über.
So saß Britta da wie eine verhüllte Statue, hörte Lärm von ferne, konnte sich überhaupt nichts erklären.
Bis zwei Polizeibeamte sie fanden.
Wedel betrat keuchend den Raum. Das Treppensteigen fiel ihm in
letzter Zeit verdammt schwer. Man war eben nicht mehr der Jüngs-te. Diese schrillen Aufregungen waren eigentlich zuviel für einen ge-setzten Mann.
Mady flatterte hinter ihm her. Da hing eine junge Frau in Fesseln.
Sie war ohnmächtig. Die Polizisten arbeiteten an den Ketten und an der Manschette, die sie um den Hals trug.
Mady trat hinzu. Ihr Atem ging total gleichmäßig. Und jetzt
machte sie der Frau mit einer fixen Bewegung die Halsmanschette ab, nahm den Knebel aus dem Mund, bedeutete den Männern, wie
die Ketten ganz leicht aufgingen. Kaltblütig. Ruhig. Ernst. Nicht ohne sich anmerken zu lassen, daß sie sich selber wieder einmal außerordentlich gut fand.
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»Ins Krankenhaus mit ihr. Ein Mann zur Bewachung«, ordnete
Wedel an. Er zweifelte keine Sekunde daran, daß er die Frau vom Phantombild vor sich hatte. Die aus dem Grandhotel. Wohl doch
entschieden Opfer und nicht Täterin. Aber wer wußte, wie sie in den Schlamassel hineingeraten war?
Na ja, offenbar war sie eine Kurierin gewesen. Bald würde man
mehr wissen. Es sah ganz so aus, als würde sie das hier überleben.
Mit seelischen Schäden, natürlich. Aber wer mit dem Teufel tanzen geht, stinkt später nach Schwefel.
Einzelheiten konnte Wedel noch nicht überblicken, im
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