Der Tote im Grandhotel
Berlin?
Auf jeden Fall war dies für Richard Hornung eine Situation am
Abgrund. Denn er konnte kein Alibi beibringen. Weder für die Zeit in Berlin. Noch, o Gott, für die Zeit, als der Mord an Mach geschehen war. Es sei denn, Lucie spielte mit. Doch das würde sie nicht tun. Nicht wenn sie erfuhr, weshalb er im Grandhotel gewohnt hatte.
Sie würde sich alles zusammenreimen. Daß er nicht im Kem-
pinski übernachtet hatte, ließ sich nicht verheimlichen. Und daß ihn sein verändertes Aussehen mit Bart und Haartönung bei einer Gegenüberstellung mit dem Personal im Grandhotel vor dem Er-kanntwerden schützen würde, war ein geradezu lächerlicher Gedan-ke.
Darauf kam es nun auch gar nicht mehr an. Das ließ sich nicht
leugnen. Niemand wurde wegen eines Seitensprunges verurteilt. Als der Mord an dem Russen dort passierte, war er wirklich und nach-weislich zu Hause gewesen. Also, da lag eine andere Gefahr. Genau die, welche er durch die Ausschaltung von diesem Moritz Mach
hatte beseitigen wollen.
Lucie würde ihm nie verzeihen. Und sie würde ihn ruinieren.
Die Firma gehörte ihr. Eine Scheidung bedeutete zugleich seinen 121
beruflichen Ruin. Keiner würde von ihm mehr ein Stück Brot neh-
men. Auch die Sitze im Beirat und im Aufsichtsrat würde man ihm nehmen. Und Angela? Ach, Kinder konnten einem nicht helfen.
Die Kripotypen würden eine Verbindung zu dem Mord an Mo-
ritz Mach konstruieren, darauf konnte er Gift nehmen. Also: das nackte Leben retten. Farbe bekennen. Kopf und Kragen zu retten
versuchen.
Er trank einen großen Whisky und fuhr mit dem BMW nach
Hause. Alkohol am Steuer mied er sonst tunlichst. Doch darauf
kam es nun auch nicht mehr an.
Lucie wunderte sich.
»Nanu, du kommst schon? Ist was? Zum Essen ist es noch zu
früh. Die Brants sind gar nicht da. Anton kauft irgendwas für den Garten. Sie ist auf dem Markt.«
»Und Gina?« fragte er automatisch.
»Gina macht eine Ausbildung als Kunsttischlerin und hat uns verlassen. Vorgestern. Weißt du doch?«
»Ja, richtig. Hatte ich ganz vergessen.«
»Du siehst schlecht aus. Hast du etwas? Bist du krank?«
»Ich muß dir etwas sagen. Gehen wir in die Bibliothek?«
»Nanu? So feierlich? Bist du vielleicht schwanger, Lieber?«
Manchmal hatte Lucie einen überraschend geschmacklosen Hu-
mor. Er lächelte traurig.
»Es ist leider ziemlich ernst.«
Sie gingen schweigend in die Bibliothek und setzten sich in die Ledersessel – herrlich weiches schwarzes Leder, wie stolz war Richard gewesen, als er diese Garnitur gekauft hatte.
Lucie schaute ihn an und senkte dann den Blick.
»Du warst im Grandhotel, stimmt's?«
»Ja.«
»Und du warst der Mann auf dem Phantombild, der zu dieser un-
bekannten Frau gehörte. Du warst auf Abwegen da, wie man so
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schön sagt. Sonst hättest du mir nichts vom Kempi vorgelogen.«
»Ja.«
»Also? Ich höre.«
»Du redest wie eine Kriminaltante, Lucie! Ich bin dein Ehe-
mann!«
»Ja, aber was für einer? Das frage ich mich in diesem Augenblick.
Bald werden ganz andere Tanten und Onkel von der Kripo mit dir
reden. O mein Gott.«
»Es war ein kleines Abenteuer, Lucie. Eine Nacht. Nenn es mei-
netwegen dritter Frühling. Nichts Ernstes. Ich wollte es eigentlich gar nicht. Aber sie war so willig …«
»Der Ermordete hat schuld, nicht?«
Warum sagte sie das jetzt? Nein, es war nur eine Redewendung.
Lucie war eifersüchtig. Weiter dachte sie nicht.
Sie sagte: »Was die wissen wol en, hängt natürlich mit dem Mord im Hotel zusammen. Warst du dabei?«
»Nein. Ich war hier am sechsten. Bei dir. Das weißt du doch,
Lucie. Das Mädchen ist verschwunden, haben sie gemeldet. Viel-
leicht auch ermordet. Ich war das auf dem Phantombild. Angela
hatte recht. Und das Mädchen hieß Britta. Jung. Nichts weiter. Ich wage nicht, dich um Verzeihung zu bitten.«
»Deshalb trägst du plötzlich einen Bart? Du wolltest nicht er-
kannt werden!«
»Richtig.«
»Wer … war das Mädchen?«
Lucie schlug die Hände vors Gesicht.
Er hätte sie gern in die Arme genommen. Er wußte, daß sie un-
fähig war, zu unterscheiden zwischen inniger Liebe und wilder Leidenschaft. Für sie gab es nur eindeutige Gefühle: Freundschaft. Liebe. Haß. Sie würde ihn hassen. Keine Gnade.
»Ich weiß nicht viel von ihr. Sie hieß Britta. Ich habe sie vor Jahren bei einer Messe kennengelernt. Oberflächlich. Sie gefiel mir.
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Wir hatten aber nichts miteinander«, log er. »Zufällig traf ich sie jetzt auf dem Flughafen
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