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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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Schnee vom Dach geräumt hatten. Oder bei seinem Vater im Dachdeckerbetrieb, die wenigen Male, die er ihn dort besuchen durfte. Dort spielte Albins Stottern keine Rolle. Auch die Müdigkeit des Vaters, von der Lennart als kleines Kind glaubte, sie käme vom Stottern, weil es so anstrengend aussah, wenn die Worte nicht heraus wollten, diese Müdigkeit war im Betrieb wie weggeblasen. Der Vater bewegte sich dort auf ganz andere Art.
    Plötzlich fiel Lennart wieder ein, daß sich Albins Gesicht manchmal wie in einem Krampf verzogen hatte. Geschah dies aus Schmerz oder Müdigkeit? War er deshalb gefallen? Es sei glatt gewesen, hatten sie gesagt. Oder sprang er vielleicht mit dem Kopf voraus? Nein, sein Arbeitskamerad hatte ihn rutschen sehen, hatte sein Rufen gehört, oder den Schrei.
    Er hatte so laut geschrien, daß man es bis zum Erzbischof hinauf hören konnte.
    Jetzt falzt er bestimmt Dachbleche im Himmel, dachte Lennart. Was soll er denn sonst machen? Irgend etwas muß er doch zu tun haben. Er hat es gehaßt, untätig zu sein.
    Lennart vermißte auf einmal seinen alten Herrn, so als würde die Trauer um John die um Albin zu neuem Leben erwecken.
    »Ein Moment nur«, sagte er laut zu sich selbst, »und dann fort!«
    Er saß in der spärlich beleuchteten Wohnung, eine Stunde, zwei, vielleicht auch drei. Er hielt Totenwache. Seine Lippen und Wangen wurden starr, und sein Rücken tat weh. Er hielt Totenwache und hatte das Gefühl, die guten Zeiten mit John noch einmal zu erleben.
    Die schlechten verdrängte er. Natürlich hatte er über die Zusammenhänge gegrübelt, hatte Fragen gestellt bekommen, in der Schule, beim Kinderpsychologen, bei den Bullen, im Bau, auf dem Sozialamt, bei der Rentenversicherungskasse, alle hatten sie ihn gefragt.
    Er hatte versucht die Fäden zu finden. Jetzt liefen sie auf einer Schneekippe in Librobäck zusammen, einem Ort, an den niemand auch nur einen Gedanken verschwendet hatte.
    Er wußte, daß es keinen Zusammenhang gab. Das Leben erschien ihm wie ein Sammelsurium aus Zufällen und Hoffnungen. Schon vor langer Zeit hatte er aufgehört, darüber zu sinnieren. Wie weit er sein Leben selber gewählt hatte, darüber wollte er nicht mehr nachdenken. Daß es sich viel zu oft in die falsche Richtung entwickelt hatte, wußte er auch so. Mittlerweile gab er niemandem die Schuld daran. Das Leben war eben, wie es war.
    Das andere Leben, das geordnete, existierte als ein Reflex, der für Sekundenbruchteile aufblitzte. Natürlich hatte er auch versucht ein solches Leben zu führen, in den achtziger Jahren, als er einen Job bei einer Baufirma bekam. Er hatte Schotter und Mutterboden geschaufelt, seinen Henkelmann gefüllt und war in einer besseren körperlichen Verfassung gewesen als je zuvor.
    Er traf Menschen, die Albin gekannt hatten, und ihm ein neues Bild von seinem Vater vermittelten. Alte Bauarbeiter äußerten sich anerkennend über den fachkundigen Dachdecker, sagten lobende Worte, die Lennart sich selber zugute hielt. Die kollektive Erinnerung an Albins große Geschicklichkeit schien auch den Sohn ein klein wenig einzuschließen.
    Sicher hatte es solche Perioden gegeben. Und John. Den kleinen Bruder. Tot. Ermordet.
     
    Zum dritten Mal in einer halben Stunde öffnete Berit die Tür zum Kinderzimmer einen Spaltbreit; sie betrachtete die zerzauste Mähne von Justus und sein Gesicht, auf dem noch Spuren von Tränen zu erkennen waren.
    Sie schloß die Tür, blieb aber stehen, die Hand auf der Klinke. Wie soll es nur weitergehen, wiederholte sie im stillen. Alles kam ihr so unwirklich vor. Die Beine waren ihr so schwer, als wären sie eingegipst, und die Arme kamen ihr wie fremde Auswüchse an einem Körper vor, der ihrer und doch nicht ihrer war. Sie bewegte sich, sprach und nahm die Umgebung mit allen Sinnen wahr, jedoch wie aus einer Distanz zu sich selbst.
    Justus war völlig zusammengebrochen. Stundenlang hatte er gezittert, geweint und geschrien. Sie selber hatte sich gezwungen, gefaßt zu bleiben. Dann hatte er sich beruhigt, von einem Augenblick zum nächsten, und war in die Sofaecke gesunken. Sein jungenhaftes Gesicht hatte einen fremden Zug bekommen.
    Plötzlich waren sie sehr hungrig gewesen. Berit hatte auf die Schnelle Nudeln gekocht, die sie mit Fleischwurst und Ketchup aßen.
    »Tut es weh, wenn man stirbt?« hatte Justus gefragt.
    Was sollte sie darauf antworten. Sie wußte von der Polizistin, daß John mißhandelt worden war, hatte jedoch darauf verzichtet, nachzufragen. Es hat

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