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Der Tote im Schnee

Der Tote im Schnee

Titel: Der Tote im Schnee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kjell Eriksson
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Bruder ist gestern gestorben«, sagte er. »Mir geht es nicht besonders, verstehst du.«
    »Oh, verdammt«, sagte der junge Traktorfahrer und setzte den Kaffeebecher auf dem Armaturenbrett ab.
    »Wie alt bist du?«
    »Dreiundzwanzig.«
    Lennart wußte nicht, wie er fortfahren sollte, wollte nur reden.
    »Wie alt war dein Bruder?«
    »Er war schon was älter, aber trotzdem. Er war mein kleiner Bruder, verstehst du.«
    Er schaute auf seine durchnäßten Halbschuhe.
    »Mein kleiner Bruder«, wiederholte er leise.
    »Möchtest du einen Kaffee?«
    Lennart sah den Jungen einen Moment an, ehe er nickte.
    »Ich hab nur einen Becher.«
    »Das macht nichts.«
    Er bekam einen Becher mit dampfendem Kaffee in die Hand. Es war Zucker darin, aber das war nicht so schlimm. Er trank einen Schluck und sah den Jungen wieder an.
    »Sie haben einen Sohn von vierzehn Jahren«, sagte Lennart. »Ich komme gerade von der Frau meines Bruders.«
    »War er krank?«
    »Nein, er ist ermordet worden.«
    Der Junge riß die Augen auf.
    »In Libro, wenn du weißt, wo das ist. Ja, natürlich weißt du das. Da, wo die Stadt den Schnee abkippt.«
    »Das war dein Bruder?«
    Lennart trank die letzten Tropfen Kaffee und gab den Becher zurück.
    »Hat verdammt gut getan, was Warmes zu bekommen.«
    Dennoch schauderte es ihn, als würde die Kälte ihn innerlich schütteln. Der Junge schraubte den Becher wieder auf die Kanne und steckte sie in eine Tasche hinter dem Sitz.
    Diese Bewegung erinnerte Lennart an etwas, und er empfand einen Hauch von Neid.
    »Ich geh dann wohl mal nach Hause«, sagte er.
    Der Junge schaute auf den Platz hinaus.
    »Es hört bald auf«, erwiderte er. »Es soll kälter werden.«
    Lennart blieb zögernd auf der Stufe stehen.
    »Paß gut auf dich auf«, meinte er schließlich, »und danke für den Kaffee.«
    Langsam ging er nach Hause. Der süße Geschmack in seinem Mund weckte Sehnsucht nach einem Bier, und er beschleunigte seine Schritte. Durch ein Fenster sah er eine Frau in ihrer Küche arbeiten. Sie schaute auf, als er vorbeiging, und wischte sich dabei mit dem Handrücken über die Stirn. Ein kurzer Blick, ehe sie fortfuhr, das Fensterbrett mit kleinen Weihnachtsmännern aus Keramik zu dekorieren.
    Es war fast zwei, als Lennart nach Hause kam. Er machte nur die Lampe über dem Herd an, holte sich ein Bier und setzte sich an den Küchentisch.
    Jetzt war John seit etwa dreißig Stunden tot. Genauso viele Stunden lief ein Mörder frei herum. Mit jeder Sekunde, die verging, wuchs Lennarts Entschlossenheit, den Mörder seines Bruders zu töten.
    Er würde sich bei der Polizei umhören, was sie wußten, wenn sie ihm denn etwas verrieten. Er schaute erneut auf die Uhr. Er hätte sofort anfangen sollen. Er hätte herumtelefonieren können. Mit jeder Minute, die der Mörder seines Bruders sich frei bewegen konnte, wuchs die Ungerechtigkeit.
    Lennart holte Papier und Bleistift, biß eine Weile auf dem Stift herum und schrieb dann mit krakeliger Schrift acht Namen auf. Alles Männer in seinem Alter, Kleinkriminelle wie er. Ein paar Fixer, ein Hehler, zwei Diebe und ein Dealer, alte Freunde aus dem Gefängnis von Norrtälje.
    Das Pack, dachte er, als er seine Liste sah, Leute, denen die Gesetzestreuen aus dem Weg gingen, die sie nicht sehen wollten.
    Er würde nüchtern bleiben und sich fit halten. Hinterher konnte er sich immer noch totsaufen.
    Lennart öffnete noch eine Flasche Bier, trank aber nur ein paar Schlucke und ließ sie auf dem Tisch stehen, als er ins Wohnzimmer ging. Er hatte eine Zweizimmerwohnung. Er war stolz darauf, daß es ihm über all die Jahre hinweg gelungen war, seine Festung zu behalten. Sicher, die Nachbarn hatten sich manchmal beschwert, und einige Male hatte sein Mietvertrag an einem seidenen Faden gehangen.
    Auf einem Regal standen zwei Fotografien. Er nahm die eine herunter und betrachtete sie lange. Onkel Eugen, John und er selber beim Angeln. Er konnte sich nicht mehr erinnern, wer das Bild aufgenommen hatte. John hielt einen Hecht hoch und schien überglücklich, er selber war zugeknöpft, nicht sauer, aber ernst. Eugen sah wie immer zufrieden aus.
    Wie alt war er selber wohl auf dem Foto? Vielleicht vierzehn. Die Zeit, in der sich alles veränderte. Sie machten schon bald keine Angelausflüge mehr. Lennart hatte zu jener Zeit das Gefühl, daß in ihm ein Tauziehen stattfand. Ab und zu war er glücklich und empfand innere Ruhe. Als sie einmal auf dem Speicher standen, er, John und Teodor, nachdem sie den

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