Der tote Raumfahrer
geschärften Sinnen des Mädchens entging das nicht. Ihre Augen zogen sich fast unmerklich zusammen.
»Nun, Sie haben das meiste von dem gesehen, was hier los ist. Was glauben Sie , was er macht?«
Er versuchte der Auseinandersetzung auszuweichen, die aufgrund ihrer vorsichtigen Gegenfrage drohte.
»Geht mich ja auch nichts an, nicht wahr? Wir sind schließlich in dieser ganzen Angelegenheit nur die Knöpfe-drücker.«
»Nein, ernsthaft... es interessiert mich wirklich. Was meinen Sie?«
Umständlich drückte Hunt seine Zigarette aus. Dann runzelte er die Stirn und kratzte sich am Kopf.
»Sie haben ebenfalls das Recht auf eine eigene Meinung«, beharrte sie. »Das steht in unserer Verfassung, also, wie lautet Ihre Meinung?«
Es gab weder eine Lücke, durch die er hindurchschlüp-fen konnte, noch vermochte er dem Blick ihrer großen braunen Augen auszuweichen.
»Alle Untersuchungsergebnisse werden nach oben wei-tergegeben«, gab er schließlich nach. »Das Fußvolk ver-richtet munter seine Arbeit...« Er ließ das Ende des Satzes offen.
»Aber...?«
Hunt seufzte.
»Aber... die Auswertung. Die Art und Weise, in der die großen Köpfe weiter oben die gewonnenen Informationen verwenden, ist zu dogmatisch, zu unbeweglich. Es kommt einem so vor, als könnten sie nicht die Grenzen der überlieferten Lehrmeinung überschreiten, in denen sie sich jahrelang bewegt haben. Vielleicht sind sie überspezialisiert.
Vielleicht lehnen sie auch von vornherein alles ab, was nicht in die Schemata paßt, an die sie immer geglaubt haben.«
»Zum Beispiel?«
»Hm, ich weiß nicht... nehmen wir nur einmal Danchekker. Sein ganzes Leben lang hat er wahrscheinlich die orthodoxe Evolutionstheorie als ehernes Gesetz betrachtet, und deshalb muß Charlie von der Erde stammen. Etwas anderes ist nicht möglich. Die Lehrmeinung muß richtig sein, also werden neue Informationen so behandelt, daß sie ins Bild passen.«
»Glauben Sie, daß er unrecht hat? Daß Charlie von einem anderen Planeten kommt?«
»Verdammt, ich hab' keine Ahnung. Vielleicht hat er recht. Es ist ja auch nicht seine Behauptung, die ich ablehne, es ist nur die Art und Weise, wie er sie verkauft. Man muß wesentlich flexibler vorgehen, um diese Fragen zu klären.«
Lyn nickte sich langsam selbst zu, als hätte Hunt etwas Richtiges festgestellt.
»Ich habe vermutet, daß Sie etwas in der Art sagen würden«, meinte sie. »Es wird auch Gregg interessieren. Er macht sich über die gleiche Sache Gedanken.«
Hunt hatte den Eindruck, daß ihre Fragen mehr als nur eine zufällige Gesprächswendung gewesen waren. Er musterte sie lange und eingehend.
»Warum sollte sich Gregg für so etwas interessieren?«
»Oh, Sie würden überrascht sein. Gregg weiß eine Menge über Sie beide. Er interessiert sich für jedes Wort, das irgend jemand sagt. Die Menschen sind's, die ihn interessieren. Er ist ein Genie, wenn es darum geht, mit Menschen umzugehen. Er weiß, wie man sie dazu bringt, gut zu arbeiten. Das ist der Hauptbestandteil seines Berufes.«
»Nun, das Problem sind ja gerade die Leute«, sagte Hunt. »Warum bringt er es nicht in Ordnung?«
Plötzlich kehrte Lyns gute Laune zurück, und ihr Gesicht erhellte sich wieder, als hätte sie jetzt all das in Erfahrung gebracht, was sie hatte wissen wollen.
»Oh, das wird er – wenn er der Meinung ist, daß die Zeit dafür gekommen ist. Das richtige Timing ist auch eine seiner Stärken.« Sie entschloß sich dazu, dieses Thema nun ganz fallenzulassen. »Wie dem auch ist, es ist Zeit für's Mittagessen.« Sie erhob sich und hakte sich bei Hunt und Gray ein. »Was halten zwei verrückte Insulaner davon, ein armes Mädchen aus den Kolonien zu einem Drink einzuladen?«
8
Im Hauptversammlungssaal der Navkomm-Zentrale tagte bereits seit mehr als zwei Stunden eine Konferenz, die sich mit den bisherigen Ergebnissen der Forschung auseinan-dersetzte. Ungefähr zwei Dutzend Personen saßen oder räkelten sich an dem langen Tisch in der Mitte des Raumes, auf dem ein Durcheinander von Aktenstapeln, Papieren, überquellenden Aschenbechern und halbleeren Gläsern herrschte.
Bisher war nichts wirklich Aufregendes entdeckt worden. Die verschiedenen Redner hatten über die Ergebnisse ihrer jeweiligen Untersuchungen gesprochen, die alle in der Erkenntnis gipfelten, daß Blutkreislauf, Lungen, Nerven, endokrine Drüsen, Lymphgefäße, Verdauungstrakt und all die anderen Körperbestandteile, die einem in den Sinn kommen mochten, genauso
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