Der tote Raumfahrer
Obgleich die genaue Mechanik bis jetzt noch nicht ganz klar ist, scheint die vom Minervamond durch den Fall auf die Sonne erlangte kinetische Energie dadurch absorbiert worden zu sein, indem sie einen Teil der Rotationsenergie der Erde neutralisierte, was einen längeren Tag verursachte. Auch kann dadurch ab diesem Zeitpunkt eine erhöhte Gezeitenreibung erwartet werden. Bevor der Mond auftauchte, war die Erde nur Sonnen-Gezeiten ausgesetzt, wohingegen es von dieser Zeit an bis heute solare und lunare Gezeiten waren.«
In einer abschließenden Geste hob Hunt seine leeren Hände und lehnte sich wieder in seinen Sessel zurück. Er ordnete den Stapel aus Notizen auf seinem Schreibtisch, bevor er schloß:
»Das wär's. Wie ich vorher schon sagte, ist es in diesem Stadium nicht mehr als eine Hypothese, die alle Fakten berücksichtigt. Aber wir haben einige Möglichkeiten, ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen.
Zuerst einmal haben wir einen großen Batzen minervianischen Materials, das sich auf der Mondrückseite auftürmt. Dieses jüngere Material ähnelt dem ursprünglichen Mondgestein so sehr, daß es dreißig Jahre gedauert hat, bevor irgend jemand feststellte, daß es erst vor kurzer Zeit hinzugefügt worden war. Dies erhärtet die Vermutung, daß der Mond und die Meteoriten aus dem gleichen Teil des Sonnensystems stammen. Ich möchte vorschlagen, einen detaillierten Vergleich zwischen der Zusammensetzung des Mondrückseitenmaterials und der der Asteroiden durchzuführen. Wenn die Ergebnisse nahelegen, daß beides aus dem gleichen Stoff besteht und gemeinsamen Ursprungs zu sein scheint, dann wäre die ganze Hypothese gut abgestützt.
Weiterhin müßte man sich mit der Erarbeitung eines mathematischen Modells über den Prozeß des gegenseitigen Einfangens von Mond und Erde beschäftigen. Wir wissen eine ganze Menge über die ursprünglichen Bedingungen, die vorher existiert haben müssen – und natürlich eine Menge mehr über die, denen wir uns heute gegenübersehen. Es wäre beruhigend zu wissen, daß für die entsprechenden Gleichungen Lösungen existieren, die die Aufeinanderfolge der Ereignisse unter Berücksichtigung der bekannten physikalischen Gesetze zulassen. Zumindest wäre es nett zu beweisen, daß die ganze Idee nicht unmöglich ist.
Schließlich haben wir hier natürlich noch das ganymedische Schiff. Ohne Zweifel warten eine Menge neuer Informationen darauf, entdeckt zu werden – weitaus mehr, als wir bisher erhalten haben. Ich hoffe, irgendwo im Schiff befinden sich astronomische Aufzeichnungen, die uns etwas über das Sonnensystem zur Zeit der Ganymeder sagen. Wenn wir zum Beispiel bestimmen könnten, ob der dritte Planet des Zentralgestirns ihres Sonnensystems einen Satelliten hatte oder nicht, oder wenn wir genug über ihren Mond herausfinden könnten, um ihn als Luna zu identifizieren – vielleicht durch das Erkennen von Oberflächenstrukturen der erdzugewandten Seite –, dann wäre die ganze Theorie so gut wie bewiesen.
Damit schließt der Bericht.
Persönlicher Nachtrag an Gregg Caldwell ...« Das Abbild Hunts wurde von einer Landschaft ersetzt, die eine Wüste aus Fels und Eis zeigte. »Hierher haben Sie uns geschickt, Gregg – der Postdienst verkehrt noch nicht regelmäßig genug, als daß ich Ihnen eine Postkarte schicken könnte. Es ist mehr als hundert Grad Celsius unter Null. Es gibt keine Atmosphäre, die der Rede wert wäre, und was da ist, ist giftig. Man kann nur mit einer Wega zurück, und die nächste Wega ist tausend Kilometer entfernt. Ich wünschte, Sie wären hier und könnten das Vergnügen mit uns teilen, Gregg – ich habe wirklich Spaß daran!
V. Hunt von Schachtbasis Ganymed. Ende der Sendung.«
24
Die lang erwarteten Antworten auf die Fragen, woher und wie die Lunarier dahin gekommen waren, wo man sie gefunden hatte, sandten Wellen der Aufregung durch die wissenschaftliche Welt und verursachten erneut hektische Aktivität in den Nachrichtenmedien. Hunts Erklärungen erschienen vollständig und einleuchtend. Es gab kaum noch Einwände oder Meinungsverschiedenheiten. Die Erklärung ließ nicht viel übrig, wogegen man Einwände erheben oder verschiedener Meinung sein konnte.
Hunt hatte also die Erfordernisse seines Auftrags voll erfüllt. Obgleich die einzelproblemorientierte, interdisziplinäre Arbeit auf der ganzen Welt noch lange andauern würde, war die offizielle Verantwortlichkeit der UNWO mehr oder weniger vorüber. So wurde das Projekt Charlie zu
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