Der tote Raumfahrer
und die Kennmelodie der Sendung mittendrin verstummen ließ. Dann streckte sich Hunt, drückte seine Zigarette aus und setzte sich aufrecht, um festzustellen, wie es um den Rest des Universums stand.
Weit rechts von ihnen schlängelte sich der Brazos River dem Golf von Mexiko entgegen, ein goldener Seidenfaden im Blaugrau des Abenddunstes. Voraus konnte Hunt bereits die halbbogenförmige Wolkenkratzerskyline von Houston erkennen, die an die dichtgeschlossenen Reihen einer Infanterieabteilung im Feld erinnerte. Im Vordergrund unter ihnen nahm die Bebauung nun sichtlich zu. Hier und da ragten dazwischen nicht näher zu identifizierende Konstruktionen heraus – planlose Konglomerate aus Gebäuden, Kuppeln, Traggerüsten und Lagerhallen, die durch ein Wirrwarr aus Straßen und Pipelines lose miteinander verbunden waren. Zu ihrer Linken, etwas weiter entfernt, erhob sich aus einer Barackenstadt aus Stahl und Beton etwa ein halbes Dutzend schlanker, silberner Türme. Er erkannte sie als die gewaltigen, bereits auf den Startrampen befindlichen Wega-Fähren. Sie erinnerten an Posten, die die Zugänge zu jenem Ort bewachten, der zum Mekka des Raumfahrtzeitalters geworden war.
Es war eine elementare Manifestation des uralten Dranges der Menschheit, die ihr gesetzten Grenzen zu überwinden. Die Anlage erstreckte sich unter ihm in allen Richtungen, und während Victor Hunt hinunterstarrte, entstand irgendwo tief in ihm eine merkwürdige Unruhe.
Hunt war in New Cross geboren worden, jenem schäbigen Viertel im Osten Londons, südlich der Themse. Sein Vater hatte die meiste Zeit seines Lebens streikend oder in der Kneipe an der Ecke zugebracht, wo er mit anderen Arbeitern über Mißstände diskutiert hatte, die vielleicht einen weiteren Streik wert waren. Als Mißstände und Geld zur Neige gingen, schuftete er in den Docks von Deptford. Victors Mutter arbeitete den ganzen Tag in einer Flaschenfabrik, um das Geld zu verdienen, das sie abends beim Bingo wieder verlor. Victor verbrachte seine Zeit damit, Fußball zu spielen und in den nahen Surrey-Kanal zu fallen. Einmal besuchte er für eine Woche seinen Onkel in Worcester, einen Mann, der jeden Tag im Anzug zur Arbeit ging, wo er mit Computern zu tun hatte. Und dieser Onkel zeigte Victor, wie man mit einem binären Rechner umgeht.
Kurz danach begann eine Zeit, in der sich zu Hause alle häufiger als gewöhnlich anschrien, und Victor zog daraufhin zu seiner Tante und seinem Onkel in Worcester. Dort entdeckte er eine neue, traumhafte Welt, in der alles, was man sich wünschte, Wirklichkeit werden konnte, und in der Magie eine alltägliche Sache war – in Form von seltsamen Symbolen und mysteriösen Diagrammen auf den Seiten der Bücher, die in den Regalen seines Onkels standen.
Als er sechzehn war, erhielt Victor ein Stipendium an der Cambridge-Universität, wo er Mathematik, Physik und Elektronik studierte. Er bewohnte eine Unterkunft zusammen mit einem Mitstudenten namens Mike, der eine Vorliebe für das Segeln und Bergsteigen hatte und dessen Vater Vertriebsleiter war. Als sein Onkel nach Afrika auswanderte, wurde Victor von Mikes Familie adoptiert und verbrachte seine Ferien in ihrem Haus in Surrey oder zusammen mit Mike und seinen Freunden in den Bergen: zuerst im Lake Distrikt in Nordwales und Schottland, später dann in den Alpen. Sie versuchten sich auch am Eiger, doch schlechtes Wetter zwang sie zur Umkehr.
Nachdem er seinen Doktor gemacht hatte, blieb er noch einige Jahre an der Universität, um seine Forschungen auf dem Gebiet der mathematischen Nukleonik fortzusetzen. Seine Berichte stießen in Wissenschaftskreisen weltweit auf Aufmerksamkeit. Schließlich mußte er sich jedoch mit der Tatsache abfinden, daß seine zunehmende Vorliebe für die aufregenderen und attraktiveren Bestandteile des Lebens sich nicht mit dem von den Zuweisungen des Bewilligungsausschusses abhängigen Einkommen in Einklang bringen ließ. Eine Zeitlang arbeitete er für die Regierung und beschäftigte sich mit der friedlichen Nutzung der thermonuklearen Fusion. Doch schon recht bald rebellierte er gegen ein Leben, das von den ständigen Einmischungen einer stupiden Bürokratie zu sehr beschränkt wurde. Er nahm drei Stellungen in der privaten Industrie an, mußte aber erkennen, daß er nur noch mit zynischem Widerwillen ein Spiel mitspielen konnte, in dem der Kampf um das jährliche Budget, die Auseinandersetzungen über Renditenspannen, Aktiendividenden oder das Ausmaß des zu erwartenden
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