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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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kein bisschen peinlich war. Sein vornehmer, zentralthailändischer Akzent deutete an, dass Chompu am Ende seiner Fahnenstange angekommen war, von den großen Polizeistationen immer weiter abgeschoben, bis es nicht mehr weiterging. Hier saß er nun auf dem Abstellgleis in Pak Nam und konnte nirgendwo mehr hin.
    Wir tauschten Höflichkeiten und launige Bemerkungen und setzten uns an den großen Resopaltisch, auf dem uns schon umgedrehte Gläser, Wasserflaschen, Süßigkeiten, monströse Pepsis und Colas und künstliche Blumen erwarteten.
    »Constable Yai wird uns einweihen«, sagte Chompu. »Er hat eine beneidenswerte Sprechstimme. Unsere Sekretärin schmilzt fast dahin, wenn sie ihn hört. So heiser.«
    Der Constable errötete, schien sich jedoch über das Kompliment zu freuen. Vor ihm lag eine eher unterernährte Akte. Als er sie aufschlug, schien sie nur zwei Seiten zu enthalten.
    »Sie müssen wissen«, sagte er, »wenn der Fall erst bei einer zentralen Polizeibehörde wie dem Archiv des CSD in Bangkok landet, ist diese nicht verpflichtet, uns über die Ermittlungen auf dem Laufenden zu halten. Das hier sind nur die Ergebnisse unserer eigenen Nachforschungen und Hinweise, die wir aufgeschnappt haben, vom Hörensagen sozusagen.«
    Ich kannte das Archiv. Es war der Elefantenfriedhof, den die alten Fälle aufsuchten, um dort zu sterben. Ich hatte einen Artikel darüber für die Mail geschrieben. War mit dem Zug nach Bangkok gefahren und hatte mich mit dem Direktor getroffen. Sobald irgendwelche Hinweise auf historische Missetaten ans Licht kamen, lasen sie die Akte durch und prüften oberflächlich ihre Computerdateien. Wenn nichts darauf hindeutete, dass die Akte mit laufenden Ermittlungen in Verbindung stand, begrub man die Karteileiche und ging zum nächsten Fall über. Man durfte nicht vergessen, dass sie nicht mal ihre aktuellen Fälle in den Griff bekamen. Wer sollte sich für dreißig Jahre alte Skelette interessieren? Im Übrigen hatte die Medusa beschlossen, den CSD-Artikel zu massakrieren, weil die Polizei darin in trübem Licht dargestellt wurde. Ich sparte mir die Mühe, darauf hinzuweisen, dass die meisten Lichter bei der Polizei sowieso eher trübe waren.
    Ich wusste, dass die beiden Zettel, die Constable Ma Yai vor seine Brust hielt, alles waren, worauf wir aufbauen konnten.
    »Erstens«, sagte er, »das Fahrzeug. Nichts.«
    »Nichts?«, fragte ich.
    »Das Kennzeichen ist von 1972. Das Verkehrsamt von Surat hat erst 1994 angefangen, seine Akten zu digitalisieren. Davor stand alles auf Kärtchen.«
    »Spricht er nicht schön?«, sagte Chompu. »Verschwendung … bei einem Constable die reine Verschwendung. Er sollte beim Radio sein.«
    Ich musste lächeln. Mit so unpassenden Bemerkungen war ich aufgewachsen. Sie fehlten mir.
    »Wo sind diese Kärtchen?«, fragte ich.
    »Nun, Sie müssen bedenken: Wir sind hier im Süden. Die Karten haben schon einiges hinter sich. Dreißig Monsunzeiten. Eingesperrt in feuchte, rostige Aktenschränke.«
    »Sie wurden vernichtet?«
    »Nicht von Menschenhand, würde ich sagen. Eher von der Natur. Die wenigen, die noch lesbar sind, wurden vielleicht irgendwo in Kisten verstaut, aber ich bin mir nicht mal sicher, wo man suchen müsste.«
    »Das Verkehrsamt von Surat wusste es nicht?«
    »Die haben gesagt, ihre überlebenden Karteikarten wurden vor zehn Jahren nach Bangkok geschickt.«
    »Ich könnte mir vorstellen, dass da irgendwo eine arme, kleine Sekretärin alte Kennzeichen in eine Datenbank tippt«, sagte Chompu. »Wahrscheinlich bezahlt man sie schlecht und behandelt sie mies. Sollte mich nicht wundern, wenn sie gepeitscht wird.«
    Es hätte mich wohl nicht überraschen sollen. Es gab eine Kurzgeschichte von Stephen King über den Rand der Zeit, wo die Vergangenheit gleich hinter einem zerkrümelt. In Thailand war alles aus der Zeit vor der Digitalisierung dem Verfall preisgegeben. Niemand verspürte den Drang, durch stockige, schimmlige, stinkende Akten zu waten. Alles neu. Alles frisch. Vergesst die Fehler der Vergangenheit und lasst uns unsere eigenen, nagelneuen Fehler für die Zukunft machen! Aber was wurde dann aus unserem Bulli?
    »Haben Sie die Motor- und Fahrgestellnummern?«, fragte ich.
    Mit gespielter Bewunderung sahen sich die beiden Polizisten an. Man lernte, damit zu leben. Yai kopierte die beiden Zahlen aus seiner Akte und reichte mir den kleinen Zettel.
    »Haben Sie schon Kontakt zu VW Thailand aufgenommen?«, fragte ich.
    »Die sitzen in Bangkok«,

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