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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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den ganzen Weg bis nach Pak Nam fahren. Pak Nam, die nächste »Stadt« – Verzeihung, wenn ich lachen muss –, liegt zehn Kilometer entfernt, jenseits der Brücke, die über den Lang Suan führt. Der Ort ist echt winzig, als würde man mit einem Humvee durch Legoland fahren. Von allen Seiten kommen ausgetretene Pfade auf einen zu. Urplötzlich tauchen Blinde auf Mopeds und Fahrrädern aus unsichtbaren Gassen auf wie Gegner im Computerspiel, die einen zwingen, ihnen auszuweichen. Händler schieben dir aus Spaß an der Freude ihre Karren vor die Füße. Und Birmanen, mehr Birmanen, als man an zehn Zehen abzählen kann, die alle auf der Straße laufen, als gäbe es in Birma keine Bürgersteige: Mädchen mit gespenstisch weiß gepuderten Gesichtern und Jungen mit langen, karierten Tischtüchern um die Hüften. Bei der letzten Zählung waren mehr als zwei Millionen Birmanen in unserem Land, bestimmt alle gepudert, mit Tischtüchern um die Hüften, mitten auf der Straße.
    Das Herz dieses stressigen Weilers ist der 7-Eleven-Markt. Hier herrscht ein wildes Geschiebe und Gedränge des Slurpee-Kaufens, des Herrenzeitschriften-Blätterns und der Selbstbetrachtung im Bildschirm über dem Tresen. Teenager aus der Gegend lungern auf ihren Mopeds vor dem Laden herum, bis abends um sieben, manchmal bis um acht, vor allem, weil er nach Einbruch der Dunkelheit noch beleuchtet ist. Wenn einem der 7-Eleven zu aufregend ist, gibt es da immer noch das Postamt. Das Prinzip des Anstellens, das Mitte der Achtzigerjahre in Thailand eingeführt wurde, hat es noch nicht bis in die Post von Pak Nam geschafft. Ältliche Damen mit Schlapphüten denken, die Leute stehen nur hintereinander, weil sie sich so gern die Schulterblätter ihres Vordermanns ansehen. Sie lächeln einen an, die alten Schachteln, und treten direkt vor einem an den Tresen. Und sie werden bedient. Allerdings wird man selbst bei Hochbetrieb nie mehr als sechs Kunden im Kampf um die Startplätze antreffen. Unsere Postfachnummer ist die Zwei, was zeigt, wie viel Korrespondenz Pak Nam erreicht beziehungsweise verlässt. Ich schätze, den Schlüssel für Nummer eins haben sie nur verloren.
    An der Straße gibt es einen kleinen Copyshop, der auf graue, verwaschene Kopien deines Originals spezialisiert ist. Die Ladenbetreiberin zieht jedes Mal ihre Schuhe an, wenn ein Kunde kommt. Daneben gibt es eine chinesische Apotheke, in der man die Medikamente gleich im Laden ausprobieren darf. Sie geben einem ein Glas Eistee, wenn man eine Pille hinunterspülen muss, und lassen einen allein, wenn man Creme auf delikate Stellen schmieren möchte. Es gibt einen Friseursalon mit einem Foto im Fenster, das den unzutreffenden Eindruck vermittelt, Julia Roberts sei dort Kundin, und nicht weniger als vier traditionelle Barbiere. Da wir hier in Thailand sind, gibt es zahlreiche Fressbuden und sieben Restaurants, die allesamt dem Glauben erlegen sind, unbehandeltes, graues Holz, Banner mit der Aufschrift »Frohes Neues Jahr« und Kalender mit halb nackten Mädchen seien im Gaststättengewerbe als Deko akzeptabel. Trotz zweier kleiner Etablissements, die sich als Coffeeshops ausgeben, bekommt man in Pak Nam weder eine vernünftige Tasse Kaffee noch ein essbares Stück Kuchen. Nicht, dass man irgendwo lange genug parken könnte, um eins zu essen. Wenn die Parkplätze nicht von Mopeds und Fahrrädern und Handkarren besetzt sind, stehen dort Lastwagen, die unterhaltsame Güter anliefern, die meistens unter dem Ladentisch landen. An ganz besonderen Tagen legt sich der faszinierende Duft der Fischfabriken wie ein ungewaschener Lappen über den Ort. Das ist also die nächstgelegene Stadt. Muss ich noch mehr sagen?
    Oft genug habe ich mich darüber beklagt, dass ich das schmutzige Ende der Wurst bekommen hatte, denn ich war die Einzige, die arbeitete – sofern ich mich nicht gerade auf einem meiner regelmäßigen Einkaufstrips in unsere kleine Metropole befand. Mair war verantwortlich für den Laden, was größtenteils bedeutete, dass sie an der Kasse stand und auf die leere Straße hinaussah oder mit den zwei, drei Kunden plauderte, die hereinschauten, um etwas zu kaufen, was sie wahrscheinlich gar nicht brauchten. Ich vermute, sie hatten Mitleid mit Mair. Unser gesamtes Angebot befand sich in Dosen, Packungen, Päckchen oder Flaschen, und manche Aufkleber waren in Sprachen verfasst, die nicht mehr in Gebrauch waren, seit König Taksin vor knapp zweihundert Jahren das Land regiert hatte. Es gab nichts

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