Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
Vom Netzwerk:
diesem Thema schwieg er. Es konnte nicht überraschen, dass der Leichnam nicht mehr vor uns auf dem Weg lag, doch ein großer Teil des Betons war braun wie von gekautem Kautabak.
    »Ziemlich viel Blut«, sagte ich.
    »Man hat ihm mehrmals in den Bauch gestochen«, sagte Abt Kem.
    Ich sah mich um. Es war ganz und gar keine abgelegene Stelle. Deutlich sah ich die Straße, die am Hang ins Tal führte, und unseren Wagen am Straßenrand. Von Norden her konnte jeder, der die Gebetshalle besuchte, die Mönche, die Nonne, sie alle konnten die Stelle sehen, an der wir standen. Und hinter uns ragte das leuchtende Beet der Bougainvilleen in voller Blüte auf wie eine Plakatwand mit der Aufschrift: MORD DES TAGES.
    »Wer hat die Leiche gefunden?«, fragte ich.
    »Ich.«
    »Um wie viel Uhr?«
    »Kurz nach drei gestern Nachmittag.«
    »Was hat Sie hier heraufgeführt?«
    »Die Hunde. Es gab da einige Aufregung. Normalerweise schlafen sie um diese Zeit, wenn die Luft am trockensten ist. Ich fürchtete, sie wären auf eine Kobra gestoßen. Als ich hier ankam, fand ich den Abt tot auf dem Weg liegen.«
    »Sie sind den ganzen Weg hierher gelaufen, nur wegen einer Schlange? Sind Sie denn Schlangenbeschwörer?«
    »Die meisten Schlangen hier oben sind harmlos, aber wir verlieren immer wieder Hunde durch Kobras. Sie beißen nur zur Selbstverteidigung, und deshalb muss man manchmal schlichten. Ich habe einen Binsenkorb. Damit trete ich zwischen die Hunde, werfe den Korb über die Schlange und setze mich darauf. Wenn den Hunden langweilig wird und sie nach Hause gehen, lasse ich die Schlange frei.«
    »Dann retten Sie die Schlange also?«
    »In gewisser Weise, ja.«
    Ich hatte schon viele wilde Zeugenaussagen gehört, aber die war speziell. Sofern die Schlangen allerdings nicht bereit waren, Beweise zu liefern, nützte diese Aussage Abt Kem nichts. Ich dankte ihm und sah ihm hinterher, wie er auf dem Weg zurückschlenderte und hin und wieder stehen blieb, um abgebrochene Zweige aufzusammeln oder ein verwelktes Blatt zu pflücken. Als ich zum Pick-up wanderte, ließ ich mir die Variablen durch den Kopf gehen. Eine entscheidende Frage, die immer wieder aufkam, lautete: Konnte ein Mann, dem das Leben so viel bedeutete, dass er sich zwischen eine Hundemeute und eine Kobra wagte, in der Lage sein, einen Menschen zu ermorden? Aber ich hatte schon Seltsameres gesehen.
    »Wie hast du es geschafft, dich durch die vielen Polizisten zu quatschen?«, fragte ich Arny, als ich in den Wagen kletterte.
    »Musste ich gar nicht.«
    »Du musst doch irgendwas … Oh, du warst aufgebracht, oder?«
    Er nickte.
    »Und wenn du aufgebracht bist, tränen deine Augen.«
    Wieder nickte er.
    »Und sie haben gedacht, du weinst und müsstest dringend beten.«
    »Es war anstrengend«, räumte er ein.
    Ich konnte mir die Szene gut vorstellen. Arny steigt aus. Er ist umzingelt. Er gerät in Panik. Die Detectives kommen zu dem Schluss, dass ein Hundert-Kilo-Schrank nur weint, wenn er dringend Trost braucht. Habe ich es nicht gesagt? Ich wusste doch, dass ich Arny nicht umsonst mitgenommen hatte. Ich zog mich an seinem linken Arm hoch und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Das gefiel ihm.

Kapitel 4
    »Informationen sind im Fluss. Da gibt es natürlich die Abendnachrichten, aber sie fließen auch durch die Blogosphäre und die Internets.«
    George W. Bush
    Washington, D. C., 2. Mai 2007
    A n zwei oder drei Abenden die Woche rief ich Sissi in Chiang Mai an oder sie mich. Wir stehen uns wahrscheinlich so nah, wie sich Geschwister stehen können, die nichts gemein haben. Ich liebe sie von Herzen, rechne aber jederzeit damit, dass sie anruft und sagt: »Jimm, ich bin zu dem Schluss gekommen, dass du nur so tust, als würdest du mich mögen, und deshalb will ich nichts mehr mit dir zu tun haben.« Aus diesem Grunde ging die Zahl ihrer engeren Freunde gen null. Um ihr Temperament näher zu erklären, müsste ich ein wenig ausholen.
    Als ich heranwuchs, brauchte ich eine Weile, bis ich merkte, dass es einen Unterschied zwischen Jungen und Mädchen gab. Und das meine ich nicht anatomisch. Mein Bruder Somkiet und ich waren aus demselben Holz, und das war definitiv pink. Er trug alle meine Sachen, seine aber nie. Wir kicherten und kuschelten ziemlich viel. Wir hatten Puppen und standen lange unter der Dusche, um mich zu betrachten. Irgendwann wurde Mair böse: »Du ziehst sofort dieses Nachthemd aus und putzt deine Fußballstiefel, Freundchen!« Opa Jah brachte ihm Boxhandschuhe mit

Weitere Kostenlose Bücher