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Der Tote trägt Hut

Der Tote trägt Hut

Titel: Der Tote trägt Hut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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und meldete ihn beim örtlichen Sportverein an. Im Lauf der Jahre jedoch schwand ihre Entschlossenheit, Somkiet von der Blümchenwiese wegzulocken, auf der er wandelte. Tatsächlich war es Mair, die ihm den letzten Schubs gab.
    Mit sechzehn stand Somkiet an jenem oft beschworenen Kreuzweg und brauchte dringend einen guten Rat, möglichst von einer Vaterfigur. Bei uns zu Hause gab es jedoch nur seine Oma, die sich auf das Nirwana vorbereitete, Opa Jah, der seine mangelnden Aufstiegsmöglichkeiten bei der Polizei beklagte, und mich – hoffnungslos verliebt in Liu De Hua, den Fernsehstar aus Hongkong. Nichts war mir wichtiger als Liu. Auch ich hatte Somkiet abgeschrieben. Nachdem Mair ihr fröhliches Leben aufgeben musste, watete sie jahrelang durch Depressionen. Es war, als stünde sie unter Hausarrest wie Aung San Suu Kyi. Ihre Welt begann am Gehweg vor unserem Laden und endete beim Schrein hinterm Haus. Wir konnten einem Mädchen, das in der Haut eines Jungen steckte, keine große Unterstützung bieten.
    Somkiets zwei Jahre auf der Highschool müssen schrecklich gewesen sein. Er lernte gern. Er war klug und hätte sich allem zuwenden können. Aber er zählte zu einer kleinen Schar von grateuys an seiner Schule, die ihren Spaß daran hatten, über den Schulhof zu trippeln, laut zu quieken und sich in Mathe die Fingernägel zu lackieren. Es gab keine Rücktrittsklausel, keinen Wechsel zum anderen Ufer. Man war entweder das eine oder das andere: ein ernsthafter Schüler oder eine Elfe. Wären der Druck nicht so groß und die fachliche Erwartung nicht so gering gewesen, hätte Somkiet jede Universität im Land besuchen können. Doch es waren verworrene Zeiten. Jungen, die Mädchen sein wollten, hatten der Gesellschaft nichts anderes zu bieten als Prostitution und Playback-Travestieshows, und Letzteres war der Weg, den er wählte.
    Vor seinem Highschool-Abschluss lief Somkiet von zu Hause weg. Oder besser: Mair packte ihm was zu essen ein und gab ihm einen Haufen Geld in einer braunen Papiertüte. Sie wusste nicht mehr, wie sie ihn zur Vernunft bringen sollte, also verbündete sie sich mit ihm. Ich glaube, im Stillen dachte sie, ihr Sohn würde schon »darüber hinwegkommen« und wieder einer von uns werden. Somkiet änderte seinen Namen in Sissi und arbeitete sich in den Travestieshows hoch: Klomann, Kellner, männlicher Playback-Chorsänger in zweiter Reihe, männlicher Tänzer, weibliche Playback-Chorsängerin in zweiter Reihe, Tänzerin in vorderster Reihe, Exotiktänzerin, und schließlich der Traum aller kleinen Jungen: die weibliche Exotik-Playback-Hauptrolle. Und da nun nahm der Glamour endgültig von seinem/ihrem Leben Besitz. Die Stammkunden in der ersten Reihe zwinkerten ihr zu, zückten die Brieftaschen, und eifrige Sekretärinnen reichten Visitenkarten ihrer Chefs weiter, weil die ihr an die Wäsche wollten – um jeden Preis.
    Immer heller leuchtete Sissis Stern am Himmel. Jetzt begannen die Schönheitswettbewerbe: Miss David’s Cabaret, Miss Transworld Bangkok. Miss Tran Pan Asia, bis ganz hinauf zur Miss San Francisco Pride, inklusive aller Spesen für den zweiten Platz. Von da an weiter zu Fotos in Heterozeitschriften und Modenschauen und Werbeverträgen, sogar einem Kurzauftritt in einer Fernsehserie. Ernsthafte Angebote von Regierungsbeamten und Militärs und Filmstars, ihr als Geliebter ein eigenes Luxusapartment einzurichten. Sie war ein Sexsymbol, von allen begehrt.
    Und dann endlich – Liebe.
    Ein Architekt. Ein Deutscher namens Walter. Er machte ihr den Hof, folgte ihr auf Schritt und Tritt, eigentlich kein Stalker, eher getrieben von romantischer Beharrlichkeit. Und – was in Sissis Augen am meisten bedeutete – er war nicht schwul. Er begehrte sie nicht als Mann im Fummel. Er begehrte sie als Frau und hatte ein unbegrenztes Budget, sodass er es auch in die Tat umsetzen konnte. Keine Perversen, keine schrägen Sextouristen mehr für Sissi. Das war eine »normale« Beziehung.
    Ich weiß noch, wie Sissi in den Laden kam und aussah wie Marilyn Monroe, die Haare platinblond aufgebauscht, die Absätze hoch wie Bohrinseln. Sie trug einen echten Diamanten am Ringfinger. Ein Mercedes mit Chauffeur parkte gegenüber in unserer kleinen Straße, blockierte den Verkehr. Ich rannte meiner neuen Schwester entgegen, stämmig in meinen Bermudashorts, mit widerspenstigen Haaren und Schlaf in den Augen. Wir drückten uns, bis die Strasssteinchen an ihrer Jacke in meine un-BH-te Brust stachen.
    »Ich komme

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