Der Tote trägt Hut
hundert Metern Entfernung sehen.«
»Na, da haben Sie aber Glück gehabt, was?«, sagte ich. »Normalerweise sitze ich hier abends im Dunkeln und lasse meinen Gedanken freien Lauf. Ich trinke ein Glas Wein. Möchten Sie auch?«
»Danke«, sagte er. »Ich trinke nicht.«
»Schön für Sie. Ich trinke gelegentlich ein Gläschen. Es stimuliert meine Fantasie. Nehmen Sie doch Platz.«
Da war nur Sand, aber er fand eine Stelle zwei Meter vor meinem Stuhl und faltete sich dort zusammen. Zu meiner Überraschung stand Gogo auf und watschelte zu ihm hinüber, als wedelten die beiden schon seit Jahren gemeinsam. Ed kraulte sie mit seiner großen Hand, und sie rollte auf den Rücken, um ihm den Bauch zu zeigen. Ihre Unterseite war eigentlich tabu. Nicht mal Mair durfte sie anfassen, aber da saß nun der Rasenmähermann und fummelte ungestraft an ihren Nippeln herum.
»Sie ist dürr«, sagte er.
»Sie ist krank. Sie kann ihr Futter nicht verdauen. Es rutscht einfach durch.«
»Wurde sie schon gedingst?«
»Gedingst?«
»Ihr Eileiter abgebunden.«
»Oh, nein.«
»Sie ist etwa fünf, sechs Monate alt. Demnächst wird sie läufig. Wenn die Rüden über sie herfallen, könnte das ihr Ende sein. Ich würde sie so bald wie möglich zum Tierarzt bringen. Wenn sie sterilisiert ist, kommen vielleicht auch ihre Därme zur Ruhe. Somboom ist zwar Spezialist für Kühe, aber mit Desexualisierung kennt er sich aus.«
Das war ja eine tolle Empfehlung. Kein einziges Mal hatte er mich dabei angesehen. Sein Blick wanderte zwischen den Booten und Gogos Bauch hin und her. Heimlich kippte ich meinen Wein in den Sand neben dem Stuhl und verstaute das Glas.
»Sie scheinen eine Menge von Hunden zu verstehen«, sagte ich.
»Ich weiß gar nicht, wie viele wir im Laufe der Jahre hatten. Man kriegt eben mit, was ihnen guttut.«
Genug davon.
»Wie dem auch sei. Was kann ich für Sie tun, Ed?«
Es folgte eine lange Pause. So lang, dass Thai Airways Flug TG250 von Surat nach Bangkok mit blinkendem Schlusslicht über uns hinwegflog.
»Ich habe mich mit Ihrer Mutter unterhalten«, sagte er.
»Ach ja?«
»Ich habe mich nach Ihnen erkundigt. Tut mir leid, dass ich so neugierig war.«
»Das macht nichts.«
Ich glaube, mein Herz flatterte ein wenig vom Wein. Man sagt, es kommt, wenn man ein Herz ankurbelt, das schon von selbst gut läuft.
»Meine Familie ist klein«, sagte er und versuchte offenbar, sich am mondbeschienenen Himmel Sterne auszusuchen. »Nur ich, meine Mutter und meine Schwester. Meine Mutter ist versorgt. Sie hat sechzehn Hektar Land mit Öl- und Kokospalmen. Viele Obstbäume. Ja, sie kommt gut zurecht.«
»Das freut mich.«
Wahrscheinlich das, was man hier unten als »hübsche Mitgift« bezeichnete.
»Meine Schwester hatte eine Zeit lang einen Mann«, fuhr er fort. »Man nennt es wohl ›arrangierte Ehe‹. Ich glaube nicht, dass so was jemals funktioniert. Seit dem letzten Jahr wohnt sie wieder bei uns. Sie ist nicht … wissen Sie, nicht ganz bei sich. Sie weiß, dass sie anders ist. Sie passt nirgends dazu. Wahrscheinlich wäre sie besser für die Großstadt geeignet, aber sie ist scheu.«
Es war schon schräg, dass er mir von seiner Familie erzählte. Sie machte auf mich einen ganz normalen Eindruck, traumhafte Verwandtschaft für ein Mädchen. Ich möchte bezweifeln, dass irgendwer, der noch alle Tassen im Schrank hat, über meine Familie dasselbe sagen würde. Fast neidete ich ihm sein schlichtes Leben. Ich kam zu dem Schluss, dass ich es ihm schuldig war, mit ihm zum Essen auszugehen, damit er mir von der Rasenmäherbranche erzählen konnte, und dass er von Onkel Wit, dem Maurer, gelernt hatte, wie man Dächer deckte.
»Aber sie ist sehr attraktiv«, fuhr er fort. »Ständig sind da Männer. Die muss ich bald schon mit dem Knüppel vertreiben.«
Ich sah ihn lächeln. Es war ein süßes Lächeln, wärmend wie ein guter Whiskey.
»Ich dachte, ob Sie sie vielleicht mal kennenlernen möchten«, sagte er.
»Aber natürlich. Das wäre doch nett. Irgendwann.«
»Sie hat von Ihnen gehört, und sie hat Sie auch schon gesehen, als Sie mit dem Fahrrad unterwegs waren. An dem Abend beim Essen konnte sie von gar nichts anderem reden. Ich habe noch nie erlebt, dass sie jemals so viel geredet hat. Das Chiang-Mai-Mädchen, das sich die Hosenbeine bis zu den Knien hochgerollt hat.«
Wir lachten beide, und dann … ich schätze, es gibt wohl Momente, in denen man den Regen vor lauter Wasser, das vom Himmel fällt, nicht fallen
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