Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
weniger intimen Umweg über den Flur morgens direkt vom Bett ins Bad gelangen konnten. Alle guten Manieren über Bord werfend, hatte Livia auch diese Tür geöffnet und den Bruchteil einer Sekunde die Luft angehalten, bis die Vision eines zwischen zerwühlten Laken auffahrenden, natürlich nackten Liebhabers sich wieder verflüchtigt hatte. Blödsinn, Fiorilla war eine frischgebackene Witwe, die ihren Liebhaber, selbst wenn es einen gab, mit Sicherheit, noch dazu während eines Interviews, nicht im Ehebett zurücklassen würde. Maximal läge dort eine Katze.
Klischees beiseite: Das alte, aufpolierte Messingbett war faltenfrei gemacht und leer. Livia, die Malerin, Kunstrauberfasserin und Frau des Auges sah sich um. Wenige, aber kostbare Möbel, vermutlich Erbstücke aus Umbertos Familie. Das Schlafzimmer war geräumig, licht und insgesamt geschmackvoller ausgestattet als das Badezimmer. An den Wänden hingen zwei Gemälde von Tavernese, einem zeitgenössischen Maler aus Rom, den auch Livia kannte und im Gegensatz zu Boschetti nicht besonders schätzte, wenngleich sie zugeben mußte, daß seine Bilder gut waren, surrealistische Varianten des Kampfes zwischen den Geschlechtern, der, wie hier an den Wänden, als Waffenstillstand oder als stumme, leidenschaftliche Umarmung ausfallen konnte. Ein drittes Gemälde zeigte die von der Brandung umspülten Klippen von Posillipo und ein Fischerboot am Strand. Neben dem Fenster hingen senkrecht untereinander eine Reihe von Fotos in Mahagonirahmen. Zwei Landschaftsfotos, auf dem dritten saßen zwei Männer und zwei Frauen auf einer Bank, Livia erkannte Fiorilla und neben ihr Umberto, die anderen beiden Personen waren ihr unbekannt. Livia verließ das Schlafzimmer durch das Badezimmer. Das letzte, was ihr auffiel, waren zwei Marmorengel, die über den beiden Kopfenden des Bettes schwebten – Schutzengel, von denen einer offenbar versagt hatte.
»Aber du hättest erst mal das Bad sehen sollen«, schloß Livia.
»War leider nicht drin«, sagte Marlen bedauernd. »Fiorilla stand neben mir, da war kein Irrtum in der Tür möglich. Aber auch das Gästeklo war nicht übel. Mickymaushefte, leider nicht der richtige Augenblick, um darin zu schmökern. Worüber habt ihr denn draußen im Flur geredet, als ihr auf mich gewartet habt?«
»Das ist es ja«, sagte Livia aufgekratzt. »Du warst zu kurz weg. Ich habe sie ganz unschuldig nach den Kacheln im Bad gefragt. Sie war nicht gerade begeistert, daß ich die falsche Tür genommen hatte. Dann hat sie gesagt, daß Umberto sich um die Innenausstattung des Hauses gekümmert und viele Einzelstücke bei Antiquitätenhändlern erstanden habe. Und dann kamst du wieder dazu, und das war’s.«
Marlen runzelte die Stirn. »Worauf willst du hinaus?«
»Die Kacheln sahen verdammt alt aus und verdammt echt. Wie die im Kloster von Santa Chiara, beinahe jedenfalls.«
»Und was würde das bedeuten?«
»Daß irgendein Antiquitätenhändler von irgendeinem Zwischenhändler gestohlene Stücke kauft und weiterverkauft. Ohne daß er unbedingt offiziell wissen muß, daß die Stücke gestohlen sind. Und natürlich ohne daß der Käufer es weiß.« Livia seufzte. »Wenn du diese Gegend hier abklapperst, findest du vermutlich in mindestens einem Drittel der Häuser irgendwelche Antiquitäten zweifelhafter Herkunft. An irgendwen muß das geklaute Zeug ja verkauft werden.« Sie seufzte. »Ich sag dir, das ist wahrscheinlich meine neue Berufskrankheit – die Wirklichkeit nach gestohlenen Kunstwerken abzugrasen. Gerade für Leute wie die Cacciapuoti wird ja geklaut Gerade weil sie scharf sind auf Kunst und alles Alte, blüht der Markt. Du hast ja keine Ahnung. Vor ein paar Jahren kam auf einmal der Handel mit Grabdeckeln in Mode, schweres, dickes Holz, zu eindrucksvollen Eßtischen umgearbeitet. Speziell Friedhöfe in den kleinen Gemeinden um den Vesuv waren betroffen. Buon appetito .«
Marlen sah sie ungläubig an. »Vielleicht haben die Leute keine Ahnung, wo das Holz herkommt.«
»Du bist vielleicht naiv«, entrüstete sich Livia.
»Mir fehlt nur die kriminelle Phantasie«, verteidigte sich Marlen.
»Wer hatte denn Angst vor der Überwachungskamera?«
»Wir stammen eben aus verschiedenen Welten«, sagte Marlen. »Ich lese zu viele amerikanische Krimis, und du beschäftigst dich zuviel mit Kunstraub.«
»Laß uns doch zusammenarbeiten«, schlug Livia vor und legte ihrer Freundin den Arm um die Schulter. »Aber jetzt sag mal ehrlich, was hältst du von
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