Der Tote unter der Piazza - Ein Neapel-Krimi (German Edition)
Seeräubergänge, aus den Zeiten, in denen Posillipo noch völlig unbewohnt war. Mein Mann hätte Ihnen viel darüber erzählen können. Er war es, der den Gang vor ein paar Jahren ausbauen ließ.«
Beeindruckend war auch der Blick nach vorn: durch die Fenster des Salotto, der ungefähr vier Meter über dem Wasserspiegel lag, hatte man einen weiten Blick auf die Bucht, die Schiffe und Segelboote, bei guter Sicht, wie heute, bis nach Capri. Die Witwe sah Marlens stille Begeisterung und bot ihr den Platz mit Blick aufs Wasser an, Livia nahm gegenüber Platz, mit Blick auf einen frühen Boschetti, der die Hälfte der Wand einnahm. Sie machte eine anerkennende Bemerkung. Boschetti war früh gestorben, Anfang der siebziger, seine Bilder hatten es erst im nachhinein in Fachkreisen zu Ruhm gebracht.
Fiorillas Augen flackerten irritiert. Umberto habe das Bild unbedingt haben wollen. Ihren Geschmack treffe dieses abstrakte Zeug nicht. Sie wandte sich an Marlen. »Wieso interessiert sich eine deutsche Zeitung für den Tod meines Mannes?« sagte sie in völlig korrektem, beinahe akzentfreiem Deutsch.
»Sie sprechen Deutsch?« Marlen war perplex, und Livia vergaß das Bild.
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet«, sagte Fiorilla lächelnd auf italienisch. »Und da ich Ihnen vermutlich noch viele Fragen beantworten soll, dachte ich, auch ich hätte eine Frage gut.«
»Natürlich«, sagte Marlen beflissen und führte aus, für welche Zeitung sie schreibe, und daß das unterirdische Neapel einen ganz besonderen Reiz ausübe und sie an einer Führung der LAES teilgenommen habe. Dann sei Signor Cacciapuoti tot aufgefunden worden, was sie zutiefst bedaure und außerdem…
Fiorilla schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. Sie begann, emotionslos Fakten aus Umbertos Leben herunterzurattern, als spule sie ein Tonband ab: die Weinläden, die Umberto mit Hilfe seines Familienerbes aufgezogen hatte; Umberto als studierter Wirtschaftswissenschaftler; Umberto als engagierter Kleinunternehmer, der schon als Kind in der Schule mit Abziehbildern Handel trieb, sich später erste Sporen mit Schmuck und Handarbeiten aus Mittelamerika verdient hatte und dann seriös ins Weingeschäft eingestiegen war, wovon er offenbar eine Menge verstand; Umberto, der vor zwei Wochen nach Bordeaux gefahren war, anschließend in die Provence, von wo aus er sie zuletzt angerufen hatte, danach standen Mailand, Bologna, Florenz auf dem Programm, sowie ein Abstecher nach Pisa, um sich einen Laden anzusehen, in dem er eine weitere Filiale plante. Umberto, den seine Frau auf Geschäftsreise wähnte, als Freitag nacht die Polizei vor der Tür stand und ihr die traurige Nachricht überbrachte. Fiorilla hatte ihren Mann zwar ein paar Tage früher zurückerwartet, sich jedoch keine Sorgen gemacht, denn in der Beziehung seien sie flexibel gewesen, sagte sie. Sie machte eine Pause, zündete sich eine Zigarette an.
»In welcher Beziehung?« hakte Marlen nach.
Fiorilla sah sie erstaunt an, zog überrascht die Stirn kraus. Sie zündete sich eine zweite Zigarette an, obwohl die andere gerade erst angeraucht war, bemerkte den Irrtum, begann einen Satz, unterbrach sich, suchte nach Worten. Sie war aus dem Konzept geraten, entschuldigte sich, sagte, sie sei in den letzten Tagen ein wenig durcheinander und könne sich nichts merken.
»Sie sagten, in der Beziehung seien Sie flexibel gewesen, Sie und Ihr Mann, wenn er auf Geschäftsreise war und ein, zwei Tage später nach Hause kam, und ich habe gefragt, wie Sie das meinen, flexibel in welcher Beziehung?« wiederholte Marlen.
Fiorilla lehnte sich im Sessel zurück, fixierte einen Punkt im Himmel jenseits der Fensterscheibe, sichtlich konzentriert, ein Stück weniger gefaßt als vorher. »Wir haben jeder unser eigenes Leben gelebt«, sagte sie und lächelte gezwungen. Sie richtete sich wieder auf, ihre Züge glätteten sich. »Sie wissen ja, wie das ist in Italien, man kann nicht so genau sagen, was wann passiert: Die Flexibilität ist Teil unseres Arrangements mit dem Leben.«
Das hörte sich gut an. Fiorilla hatte das Gespräch wieder im Griff, der kleine Ausrutscher in persönliche Gefilde war vorbei. Ihr Blick blieb an einer der Glaskaraffen auf dem Beistelltisch hängen, und sie fragte die Frauen, ob sie ihnen etwas anbieten dürfe, einen Pomerol vielleicht?
»Warum hat Ihr Mann ausgerechnet mit Wein aus Frankreich gehandelt?« fragte Marlen, nachdem sie den ersten Schluck getrunken hatte.
»Er hatte eine
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